Clan der Könige

Teil 8


Friedrich stemmte sich erfolglos gegen Patrick und gab dann schweratmend fürs Erste auf. Seine verbliebene Kraft auf diese Art zu verschwenden, darin sah er keinen Sinn. Funkelnd sah er den Kutscher an und schoss all seine Wut auf ihn ab

"Ihr fragt tatsächlich noch?", ereiferte er sich

"Wie hätte ich auch etwas anderes erwarten können? Mag sein, dass es für Euch normal ist, mit Männern auf andere Weise zu verkehren. Aber ich sehe das als Gotteslästerung an. Wie kann ein Mann nur bei einem Mann liegen? Ich hätte nicht geglaubt, dass ich je solchen Männern begegnen würde. Und nun lasst mich endlich los!"

Friedrich versuchte noch einmal, gegen den Kutscher anzukommen, dann waren seine Hände nur noch nutzlos. Sein Kopf schmerzte und hinter seinen Augäpfeln schossen Blitze.

Nachdem Friedrich seinen Kampf aufgegeben hatte, richtete sich Patrick wieder auf.

"Habt Ihr es denn schon mal versucht? Oder wenigstens in Erwägung gezogen? Ihr könnt doch gar nichts verurteilen, was Ihr nicht kennt." Einen Moment betrachtete er den jungen Sekretär, dann keimte ein Verdacht in ihm auf.

"Habt Ihr überhaupt schon mal einer Frau beigelegen?"

Friedrich stöhnte leise und versuchte sich die Schläfe zu reiben. Als er seine Beule berührte, ließ er es bleiben. Böse schaute er Patrick an, als ob er ihn für seinen Zustand die Verantwortung geben würde.

"Ich wüsste nicht, was Euch das angeht, Monsieur!", wich er der Frage aus. Doch dann gab er Patrick indirekt die Bestätigung und Friedrich bemerkte es erst, als er erklärte: "Ich muss nicht erst bei einer Frau liegen, um zu wissen, dass es wider Gott und die Natur ist, es bei einem Mann auch zu tun." Frustriert biss er die Zähne aufeinander. Als ihm das aber einen weiteren Stich hinter seiner malträtierten Stirn einbrachte, entspannte er sich, auch wenn ihm das alles andere als behagte.

Der Kutscher zuckte die Schulter. "Ich weiß nicht, ob Gott etwas dagegen hat, aber wider die Natur ist es bestimmt nicht, denn sonst würden es nicht so viele Männer tun." Etwas leiser, mehr für sich fügte er hinzu: "Und etwas, was soviel Spaß macht, kann nicht wirklich schlecht sein."

Friedrich hatte dagegen keine wirklichen Argumente. Er wusste nicht, ob es Spaß machte und ein Theologe war er auch nicht. Er hatte nur mit halbem Ohr in der Universität zugehört. Ähnliches galt für den Priester auf der Kanzel. Dennoch hielt er sich für einen gläubigen Menschen und er wusste, dass das, wofür sich Patrick hier aussprach, gegen alles verstieß, was er gelernt hatte.

"Auch der Teufel kann Freude bereiten", stieß er verzweifelt hervor. Mehr wusste er nicht.

"Stimmt", pflichtete ihm Patrick bei. "Und alles, was Spaß macht, wird von den Pfaffen als Werk des Teufel verdammt, vor allem dann, wenn sie es selber nicht machen dürfen." Nun grinste er mehr als anzüglich.

In Friedrichs Kopf drehte sich alles. Er konnte sich kaum noch auf den Streit mit Patrick konzentrieren. Sein Kopf kippte schwer zur Seite und er sah ihn an.

"Ich will nicht", flüsterte er nur noch schwach, dann schloss er erschöpft die Augen. Er hörte Patrick noch. Aber alles um ihn drehte sich, wenn er die Augen wieder öffnen wollte.

"Schlaf ein bisschen", flüsterte Patrick und zog die Decke über Friedrich. Ganz sanft strich er ihm über die Wangen. Friedrich war schön, fand er und konnte den Comte verstehen, dass er es sich in den Kopf gesetzt hatte, den jungen Deutschen zu erobern, ohne eine seiner Vampir-Fähigkeiten einzusetzen, was ihm ein Leichtes gewesen wäre.

Der Ghul stand auf und zog sich einen Stuhl heran. Er würde auf Friedrich aufpassen bis die Nacht hereinbrach. Patrick konnte sich darauf verlassen, dass der Graf sie finden würde - dass er ihn finden würde. Das Blut verband sie miteinander: Herr und Diener.

Friedrichs Atem wurde leichter, aber Patrick spürte, dass der junge Sekretär gegen den Schlaf ankämpfte. Er konnte nur ahnen, welche schweren Gedanken ihn beschäftigten. Patrick sah auf die kleine braune Flasche mit dem Beruhigungsmittel. Kurz entschlossen stand er auf und holte von dem Tablett, das der Wirt gebracht hatte, eine kleine Karaffe mit Wein. Er mischte ihn mit ein paar Tropfen der Medizin und kam mit dem Becher zurück zu Friedrich. Der wehrte sich nicht, als er ihm ein paar winzige Schlucke einflösste. Bald dämmerte der junge Mann weg. Patrick lächelte zufrieden. Er nahm die kühlen Umschläge und legte sie Friedrich auf die Stirn.

Immer wieder strich er sanft und beruhigend über Friedrichs blasse Wangen. Langsam wanderten die Schatten an den Wänden und der Decke des Zimmers entlang. Einmal kam der Wirt, fragte nach Patricks Wünschen, der sich ein leichtes Mittagessen bestellte. Kurz kam Friedrich wieder zu sich, sah sich irritiert im Zimmer um. Als er Patricks angesichtig wurde, zuckte er zurück und wenn sein brummender Schädel es zugelassen hätte, wäre er wahrscheinlich aus dem Zimmer geflohen. Nur wiederstrebend nahm er etwas von dem angebotenen Brot und Wein, dann schlief er wieder ein.

Die Schatten wanderten weiter, wurden länger und dunkler, bis sie vollkommen das Zimmer ausfüllten – die Sonne war hinter dem Horizont verschwunden.

 

Mit einem Schlag war Lucien wach und richtete sich ruckartig in seinem Bett auf. Sofort läutete er nach Jean. Ein ungutes Gefühl befiel ihn. Als er Diener erschien, fragte der Comte:

"Ist Patrick schon zurück?"

"Non, Monsieur le Comte."

"Jean, spann die Kutsche an, wir fahren nach Craonne. Irgendetwas ist mit Friedrich oder Patrick passiert."

Der Diener verneigte sich und verschwand, um den Befehl seines Herrn auszuführen.

Kurze Zeit später waren der Comte und Jean auf den Weg in die Stadt.

Friedrich kämpfte derweil mit Träumen und dem Gefühl, langsam zu ersticken. Schwer lastete der Alp auf ihm und Patrick hatte Mühe, seinen Schützling aus dem Traum zu wecken.

Voller Angst sah dieser ihn an und brauchte Zeit, ehe er ihn erkannte. Als Friedrich auch noch sah, wo er sich befand, erinnerte er sich auch daran, wie er hierher kam.

"Die Nacht ist da", flüsterte er hohl und wich wie verbrannt von Patrick fort. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz, doch dieses Mal ließ das dumpfe Gefühl schneller nach.

Patrick lächelte beruhigend. "Ja, die Nacht ist da", sagte er leise und hoffte, dass das unsichtbare Band, welches ihn mit Lucien, seinem Herrn, verband, auch dieses Mal funktionieren würde. Da hörte er auch schon das Geklapper beschlagener Hufe auf dem Hof der Taverne, kurz darauf Stimmen auf der Treppe, dann wurde die Tür schwungvoll geöffnet und Lucien Fabrice Benedict, Comte de Montfort und Herr über die Domäne Craonne, trat ein, Besorgnis auf dem Gesicht, gefolgt von Jean, der den neugierigen Wirt bestimmt aus dem Raum drängte und hinter ihm die Tür schloss.

Patrick erhob sich von seinem Stuhl, verneigte sich wortlos vor dem Comte und trat zu Jean in den Hintergrund.

Lucien ließ sich auf die Bettkante sinken, strich Friedrich liebevoll über die glühenden Wangen und lächelte ihn warm an.

"Was machst du nur für Sachen, mon petit chou [mein kleiner Liebling] ?", fragte er leise.

Friedrich war, als hörte er eine Tür zuschlagen. Jetzt war er tatsächlich gefangen. Noch immer nicht fähig, gegen irgendjemand anzukommen, schloss er nur die Augen und drehte seinen Kopf fort. Er wollte den Comte nicht sehen, wenn er ihm schon nicht aus dem Weg gehen konnte.

Lucien wandte sich an Patrick und fragte leise: "Was hat der Doktor gesagt? Kann er reisen?" Der Kutscher beantwortete die Frage nickend. Der Comte gab ihm ein Zeichen, dann nahm er Friedrich vorsichtig auf die Arme und trug ihn behutsam die Treppe hinunter und in die Kutsche, wo er ihn auf die Bank legte und Friedrichs Kopf in seinen Schoß bettete. Sanft strich er ihm wieder über die Wange. "Warum diese Flucht, mon chou? Bin ich so schrecklich, ist mein Anliegen so widerlich, dass du dein Heil in der Flucht suchen musst und dich dafür sogar zusammenschlagen lässt?" Sanft ruckte die Kutsche an und Patrick fuhr sie sehr umsichtig aus der Stadt in Richtung auf das Jagdschloss zu.

Friedrich konnte und wollte darauf nicht antworten. Ihm fielen nur die Worte von Patrick ein, dass man etwas erst ablehnen konnte, wenn man es kannte. Aber er wollte es nicht kennen lernen. Doch diese Frage stellte sich in diesem Moment nicht wirklich. Er fühlte sich nur elend und fremdbestimmt. Seine Lage empfand er als unangenehm. Der Comte strich ihm immer wieder über die Wangen und seine Stirn. Die Hand war kühler als er selbst. Friedrich stöhnte leise. Er fror und hatte dennoch das Gefühl, dass er Fieber hatte.
Friedrich sammelte seine Konzentration und öffnete die Augen. Das Gesicht seines Herrn schwebte fast geisterhaft über ihm. Darunter blendete das weiße Spitzenhalstuch im Dunkel der Nacht.
"Warum könnt Ihr mich nicht einfach gehen lassen?", rang sich Friedrich zu einer Frage durch.
"Ihr könnt jeden haben, den Ihr wollt. Was spielt es für eine Rolle? Es wird bestimmt jemanden geben, der Euch mit Freuden dient. Bitte lasst mich gehen!" Friedrich war es egal, dass er flehte und bettelte. Ihm wurde seine Machtlosigkeit bitter vor Augen geführt. Etwas anderes, als seine Freiheit zu erflehen, blieb ihm kaum noch übrig.

Nachdenklich und doch mit einem liebevollen Lächeln sah Lucien auf Friedrich hinab.

"Ja, es wird sicher andere geben, die mir mit Freuden dienen würden, aber ich will keinen gehorsamen, kriechenden Diener. Ich will dich, Friedrich. Dich, deine Seele, deinen Geist, deinen Intellekt....." Er beugte sich weiter vor, so dass seine Lippen fast die Friedrichs berührten und sah ihn durchdringend an. "......und deinen wundervollen Körper", fügte er leise hinzu. Dann beugte er sich noch eine winzige Idee vor und berührte die Lippen seines Sekretärs hauchzart mit den seinen, ehe er sich wieder aufrichtete. Das Lächeln hatte weder sein Gesicht noch seine Augen verlassen. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, Friedrich zu zwingen, doch er wollte, dass der junge Mann aus freien Stücken zu ihm kam und es auch wirklich wollte.

Doch jetzt funkelte noch Furcht in dessen Augen. Friedrich wandte sein Gesicht ab. Er zitterte leicht und seine Hände verkrampften sich.

"Lasst das!", wisperte er. "Bitte lasst mich in Ruhe!" Das unverhohlen vorgetragene Verlangen verwirrte ihn. Unter anderen Umständen hätte er es als Kompliment gesehen, doch so fühlte er sich bedroht.

"Wie du willst, mon cœur", sagte Lucien und nahm die streichelnden Hände von Friedrichs Gesicht, hielt ihn nur noch sachte fest, dass er nicht von der Bank fiel.

Patrick hatte die Kutsche währenddessen ohne weitere Vorkommnisse aus der Stadt gefahren. Selbst die Stadtwache hatte sie entgegen ihres eigentlichen Auftrages nicht gestoppt. Jetzt fuhr er wieder auf den Hof des Jagdschlosses. Jean sprang von hinten ab und öffnete die Tür. Er verbeugte sich und bot an, dem Comte Friedrich abzunehmen, wenn dieser ausstieg.

Lucien schüttelte nur lächelnd den Kopf, nahm Friedrich auf die Arme und verließ die Kusche, trug seine süße Last mit flinken Schritten ins Schloss und direkt in das Schlafzimmer. Jean war ihm vorausgeeilt, hatte die Türen geöffnet und bereits das Bett aufgeschlagen. Sanft ließ er den jungen Mann auf die Matratze gleiten, nahm seinen Umhang ab und legte ihn nachlässig über das Fußende des Bettes. Er zog Friedrich nur die Stiefel aus, mehr nicht, denn er wollte nicht, dass sich der Deutsche bedrängt fühlte.

Friedrich registrierte seine Umgebung. Die Kopfschmerzen hatten nachgelassen, nur der Schwindel plagte ihn noch. Wahrscheinlich war der Schlag nahe der Schläfe dafür verantwortlich. Er hätte daran sterben können, so fühlte er einfach nur latente Übelkeit. Aber es tat gut, dass sich der Untergrund, auf dem er lag, nicht mehr bewegte. Es gab allem eine gewisse Festigkeit. Friedrich spürte den aufmerksamen Blick des Comte auf sich. Er schlug die Augen auf und sah ihn an. Jetzt hatte dieser ihn genau da, wo er ihn wahrscheinlich schon von Anfang an haben wollte: In seinem Bett. Etwas befremdlich fand Friedrich, dass der Comte ihn nicht ausgezogen hatte und sich einfach nahm, was ihm so präsentiert vor ihm lag.

Solche Worte wie: seinen Körper, seine Seele, seinen Geist, seinen Intellekt... Das waren im Grunde hohle Worte. Es kam nur auf den Körper an. Soviel wusste Friedrich auch. Mit dem Süßholzgeraspel konnte man unwissende, blutjunge Frauenzimmer beeindrucken, ihn aber nicht.

Immer noch lag ein besorgtes Lächeln auf dem Gesicht des Grafen. "Wie fühlst du dich?", fragte er leise, strich dabei sachte eine wirre braune Strähne aus Friedrichs angespanntem Gesicht.

"Ein wenig besser", gab Friedrich zögernd zu.

"Und was jetzt?" Die Frage in all ihrer Kürze gab mehr von Friedrichs Befürchtungen preis, als dieser in eine ganze Rede hätte packen können.

"Jetzt wirst du dich ausruhen, deine Wunden lecken und ein wenig schlafen. Der Tag war anstrengend genug. Wir reden morgen Abend weiter."

Lucien erhob sich, nahm seinen Umhang vom Bett und legte ihn sich um. An der Tür drehte er sich noch einmal um, lächelte Friedrich warm an. "Und lauf bitte nicht wieder weg. Lass uns in aller Ruhe darüber reden, dann sehen wir weiter", bat er, dann verließ er das Schlafzimmer. Er hoffte immer noch, dass er Friedrich überzeugen konnte, es wenigstens zu versuchen. Er wollte ihn nicht zwingen, denn Liebe musste von alleine erwachsen. Gedankenverloren begab er sich auf die Jagd. Heute Nacht würde er Marie oder eine andere nicht besuchen, heute Nacht war ihm nach einer Jagd. Heute Nacht wollte er Furcht, Leidenschaft und auch Erregung schmecken, heute Nacht würde jemand sterben müssen.



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