Clan der Könige

Teil 3


"Oh, das geht ja schon wunderbar, mon cher [mein Lieber]." Der Comte war wirklich erfreut über Friedrichs Fortschritte, auch wenn sich dieser noch auf einen Gehstock gestützt vorwärts bewegte.

Seit ihrem letzten Gespräch waren mittlerweile fast drei Wochen vergangen, Friedrichs Bein heilte zu aller Zufriedenheit gut und vor zwei Tagen hatte Dr. Bâcleur ihm erlaubt, das Bett zu verlassen. Seitdem humpelte er auf einen geliehenen Gehstock des Comte gestützt durch das große Stadthaus des Grafen.

Nur im Gegensatz zum Comte, war er alles andere als erfreut. Ihm ging alles viel zu langsam und er fluchte innerlich und bat gleichzeitig für seine Lästerei um Vergebung.

Erschöpft setzte er sich auf das Sofa, das er erreicht hatte und sah zu Lucien auf. Schweiß stand ihm auf der Stirn und schon der kurze Gang hatte sein Herz zum Rasen gebracht.

"Ihr wollt sehen, was Ihr sehen wollt. Mir wäre es lieber, ich könnte schon wirklich wieder laufen", klagte Friedrich leise.

"Sie sind zu ungeduldig, mein Freund. Erst seit zwei Tagen wieder auf den Beinen und gleich wieder Walzer tanzen wollen." Lucien lachte auf. Es war ein fröhliches, freies Lachen, mit dem er Friedrich nicht verspotten wollte. Wortlos reichte er ihm ein Taschentuch, damit er sich den Schweiß abwischen konnte.

"Danke und ja, ich bin ungeduldig. Noch länger in dem Bett und ich nehme es auseinander. Aber jetzt bekomme ich noch nicht einmal drei Schritte hintereinander hin, ohne dass ich aus der Puste komme."

Lachend setzte sich der Comte neben ihn. "Sie werden sehen, es wird mit jedem Tag besser werden. Worauf wollen Sie denn drauf los, dass Sie so schnell wieder laufen wollen? Ich hoffe, Sie wollen mich nicht allzu bald verlassen?" Lucien legte den Kopf ein wenig schief und sah Friedrich fragend an. "Ich genieße Ihre angenehme Gesellschaft und die geistreiche Konversation mit Ihnen sehr, Monsieur Schuster."

Friedrich sah offen zweifelnd den Comte an und erwiderte das Lächeln.

"Sie sind zu gütig, aber ich weiß mittlerweile, dass ich Ihrem Wissen und Ihrem herausragenden Verstand nichts entgegenzusetzen habe. Meine Anwesenheit wird Euch eher langweilen und es ist meinem Unwissen zu verdanken. Wäre ich ein besserer Student gewesen, vielleicht dann." Friedrich nahm das Taschentuch und faltete es. Seine Worte waren von der Erfahrung der letzten Nächte geprägt, die er mit dem Comte verbracht hatte. Dieser war brillant in der Rhetorik und sein Wissen schien er aus unendlich vielen Quellen geschöpft zu haben.

Friedrich zweifelte sogar, dass es irgendeinen Menschen gab, der diesem Mann das Wasser reichen konnte.

Eines hatte ihm jedoch der lange Aufenthalt durchaus gebracht: Er selbst profitierte von diesen Konversationen. Sein Französisch verlor den harten Akzent und seine Sicherheit auf einigen Gebieten wuchs.

"Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, Monsieur", lächelte Lucien. "In Anbetracht Ihres jugendlichen Alters können Sie noch gar nicht über das Wissen verfügen, welches ich mein Eigen nennen darf, also machen Sie sich darüber keine Gedanken. Ich fand unsere Gespräche sehr inspirierend."

Er läutete nach Jean, orderte Wein und eine leichte Mahlzeit für Friedrich, dann wandte er sich wieder an den Studenten.

"Ich kenne Ihre Pläne für die Zukunft nicht, aber wären Sie eventuell an einer Anstellung interessiert?"

Er nickte Jean dankend zu, der auf einem Wägelchen die bestellte Mahlzeit brachte. Neben den Schüsseln mit den Speisen standen dort zwei Karaffen, von denen die eine eindeutig einen eleganten Rotwein enthielt, während die andere zwar auch eine rote Flüssigkeit beinhaltete, die aber allem Anschein nach kein Wein war.

"Eine Anstellung?" Friedrich war erstaunt.

"An was für eine Anstellung habt Ihr gedacht?" Im Grunde hatte Friedrich immer den Gedanken gehabt, dass er für die Stellung eines Privatlehrers geeignet war. Noch waren seine Erfahrungen und sein Wissensschatz zu gering. Daneben benötigte er für jede höhere Stelle seinen Doktor. Doch für einen Privatlehrer sah er beim Comte keinen Bedarf. Dieser lebte allein, ohne jegliche Familie und er selbst benötigte keinen.

Lucien konnte Friedrichs Erstaunen durchaus verstehen.

"Ich suche schon seit längerer Zeit einen Sekretär, aber was sich so bei mir vorgestellt hat, war, mit Verlaub gesagt, einfach grauenhaft. Entweder war der Bildungsstand der eines zehnjährigen Kindes oder die Bewerber waren äußerst ungepflegt und unkultiviert. Doch Sie, Monsieur Schuster, vereinen alle die Eigenschaften, die ich mir von meinem Sekretär wünsche. Gute Bildung, einwandfreies Benehmen, kultiviert, belesen, ein würdiger Diskussionspartner. Wenn Sie zudem noch eine leserliche Handschrift haben, wären Sie mein Mann. Denken Sie über mein Angebot nach. Ich will Sie nicht drängen und wenn Sie andere Pläne verfolgen, so wäre ich über eine Ablehnung auch nicht böse."

Er nahm die Weinkaraffe, schenkte Friedrich ein Glas ein, dann nahm er die zweite Karaffe, aus der er sich dann bediente.

Friedrich hatte sich an dieses Ritual mittlerweile gewöhnt, so dass er ohne zögern das Glas nahm.

"Es ist mir eine Ehre", nahm er das Angebot an. Dafür bedurfte er keines weiteren Nachdenkens. Als Sekretär konnte er dem Comte durchaus zur Hand gehen und es würde ihm eine Freude sein.

Friedrich fand es ungewöhnlich, dass ein Mann wie der Comte scheinbar nur nachts Aktivitäten entwickelte, aber das war eine Gewohnheit und ihm stand es nicht an, sie zu kritisieren. Er würde sich daran gewöhnen.

"Sehr schön, das freut mich." Lucien war wirklich hoch erfreut, dass Friedrich sein Angebot annahm. "À votre santé, mon ami! [Auf Ihre Gesundheit, lieber Freund!]" Prostend hob er sein Glas. Nun würde er Gelegenheit haben, Friedrich genau zu beobachten und zu prüfen, würde sehen können, ob sein erster Eindruck sich bewahrheitete und der junge Student wirklich das Zeug zu einem neuen Mitglied des Clans der Könige hatte.

"Der einzige Wehrmutstropfen an der Sache ist, sie müssten sich eine nächtliche Lebensweise angewöhnen, doch ich denke, das wird für Sie kein Problem sein, Monsieur Schuster."

Seine Gedanken derart erraten zu sehen, ließ ihn sich fast verschlucken. Doch fasste er sich und nickte dann: "Kein Problem für mich. Ich werde mich ganz bestimmt daran gewöhnen."



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