Hjalmar und Frank

Teil 2


Stöhnend wälzte Frank sich auf die andere Seite. Ein Traum hielt ihn gefangen. Er spürte die Tritte, hörte das Knacken, als seine Hand brach und er roch den Schweiß und die stinkenden Atem, die ihn einhüllten. 

"NEIN!"

Mit einer Bewegung saß Frank aufrecht. Sein Herz schlug schnell und heftig, so heftig, dass ihm der Brustkorb schmerzte. Dunkelheit umgab ihn. 'Sie sind weg. Ich bin allein. Wie komm ich nach Hause? Warum?!'

Von den Geräuschen und der Bewegung neben sich wurde Hjalmar wach. Der andere saß kerzengrade, heftig atmend und mit weitaufgerissenen Augen neben ihm im Bett.

"Schsch.... ganz ruhig", sagte er leise und ließ die kleine Lampe neben dem Bett aufflammen. Der sanfte Lichtschein beschien ein blasses, entsetztes Gesicht, dem man ansah, das er nicht wusste wo er war. Um diese Ungewissheit aus dem Weg zu räumen sagte der blonde Riese leise:

"Mein Name ist Hjalmar. Ich habe dich in der Unterführung gefunden und dich bei meinem Freund Thomas abgeliefert, damit der dich wieder zusammenflickt. Er hat deine Wunden soweit versorgt, deine Hand geschient und morgen früh wird er sie operieren, dann kannst du sie bald wieder ganz normal gebrauchen. Bis dahin habe ich dir Unterschlupf gewährt. Du solltest dich wieder hinlegen und noch ein bisschen schlafen vor der OP."

Hjalmar lächelte sein schönstes Schwiegermutter-Bestechungs-Lächeln. In einem ersten Reflex hob er die Hand und wollte Frank eine der verschwitzten Strähnen aus dem Gesicht streichen, erinnerte sich aber im letzten Moment daran, wie der andere am Abend zuvor darauf reagiert hatte und ließ die Hand wieder sinken.

Er betrachtete seinen unfreiwilligen Übernachtungsgast einen Moment. Am liebsten hätte er ihn in den Arm genommen und wie ein verängstigtes Kind hin und her gewiegt. /Warum habe ich eigentlich das Bedürfnis diesen Mann zu streicheln und ihn liebevoll zu drücken?/, fragte sich Hjalmar plötzlich. Er schüttelte leicht den Kopf.

Um Frank wurde es hell. Nur wage hatte er die Worte des Fremden mitbekommen, den er nun anstarrte. In seinem Kopf überschlugen sich Gedanken. Er erinnerte sich an die fünf Glatzen, die ihm aufgelauert hatten und auch an deren Tritte und Schläge, doch dann war alles dunkel. Doch noch bevor Frank auch nur eine Frage stellen konnte, begann der Fremde zu reden. Es klang wie eine Geschichte, aber nicht wie sein Leben.

'OP? Meine Hand.' Jetzt erst bemerkte Frank die Schiene und plötzlich näherte sich ihm Hjalmars Hand.

Franks Augen weiteten sich, dann rutschte er auf dem fremden Bett ein Stück zurück und zog die Beine an. In dem Moment registrierte er, dass er bis auf seine Unterhose nackt war. Mit einem Ruck hatte er die Decke zu sich gezogen, sich darin eingehüllt und stand neben dem Bett.

"Was?", schrie er und taumelte Richtung Tür, die er entdeckt hatte. "Ihr seid alles miese Schweine. Vergreift euch an Hilflosen und Verletzten..."

"Heh, langsam, Kleiner. ICH habe mich nicht an dir vergriffen, nur habe ich es nicht so gerne, wenn meine Übernachtungsgäste in dreckigen Klamotten in meinem Bett liegen." Langsam erhob sich Hjalmar und ging einige wenige Schritte auf Frank zu.

"Wenn du mich an meinen Schrank lässt", damit wies er auf die Tür in Franks Rücken, "dann kann ich dir auch eines von meinen T-Shirts geben, damit du dir was überziehen kannst. Aber eines sage ich dir gleich: Du wirst diese Wohnung nicht vor morgen Früh verlassen und dann nur in Richtung von Thomas' Praxis." Bestimmt trat der blonde Riese an den braunhaarigen Mann heran. Mit einem liebevollen Blick in die entsetzt und deutlich nicht verstehenden Augen, schob er ihn sanft zur Seite, öffnete die Schranktür und holte eines seiner T-Shirts hervor.

"Hier, zieh dir das über, dann fühlst du dich bestimmt besser. Und dann verschwindest du wieder ins Bett und ruhst dich aus! Wenn ich dich nicht in einem 1-A-Zustand beim Doc abliefere, macht mir mein Oberstabsarzt die Hölle heiß. Das will ich auf keinen Fall riskieren." Hjalmar grinste jungenhaft, trat an Frank vorbei und stellte sich so, dass dieser auf keinen Fall die Wendeltreppe zur Wohnung erreichen konnte. Wenn er jetzt von der Empore flüchten wollte, so hätte er nur über das Geländer springen können.

Frank fing das T-Shirt auf und sah den Mann vor sich an. Nur noch bruchstückhaft erinnerte er sich an das, was geschehen war. Er war den Glatzen in die Arme gelaufen und die hatten ihn zusammengeschlagen und ihm die Hand gebrochen, aber was war danach geschehen? Er erinnerte sich nur noch an helles Licht und zwei Männer, die... Ja was? Es wollte ihm einfach nicht mehr einfallen.

Schweigend ließ er die Decke fallen, zog das Shirt über und sah sich um, dabei fiel ihm auf, das Hjalmar auch nicht gerade viel trug.

Er ging auf die Worte des Mannes nicht ein, sondern fragte nur: "Wo ist dein Bad?" Er wollte den Blicken entkommen und einen Moment für sich allein haben.

"Unten", antwortete Hjalmar knapp. "Aber du gehst nicht allein, dafür bist du noch nicht fit genug, Frank." Er ging bis an die Treppe vor und wartete, bis der andere aufgeschlossen hatte. Jetzt beglückwünschte er sich, dass er in weiser Voraussicht die Haustür zugeschlossen hatte. So brauchte er sich wenigstens keine Sorgen zu machen, dass der andere plötzlich durchstartete und aus der Wohnung floh. Auch wenn Thomas sein Freund war, was medizinische Dinge anging war er gnadenlos und wenn er Frank morgen früh nicht wohlbehalten auf seinem OP-Tisch ablieferte, würde Thomas ihm das Fell über die Ohren ziehen.

Frank folgte dem Mann zögernd. Nur vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen und hielt sich am Geländer der Treppe fest, als er diese hinabstieg. Stur war sein Blick auf den Rücken vor sich gerichtet, ohne aber etwas von den breiten Schultern wahrzunehmen oder von dem knackigen Hintern.

"Wie heißt du noch mal?", fragte er pampig. Er wollte sich nicht anmerken lassen, wie viel Angst er in Wirklichkeit hatte.

"Hjalmar Gunnar Herjulf Asgård. Aber sag ruhig Hjalmar zu mir oder Wikinger. Das sagen alle, die sich meinen Namen nicht merken können." Der Blonde grinste. "So, hier ist das Bad. Mach die Tür zu, aber schließ bitte nicht ab. Ich werde drüben in der Küche auf dich warten, du brauchst also keine Angst zu haben, dass ich reinkommen, aber falls du da drin zusammenklappst würde ich ungern meine Badezimmertür eintreten müssen um dir helfen zu können." Hjalmar lächelte aufmunternd, drehte sich um und ging in seine Küche. Er kramt in seinem Kühlschrank rum, denn sein Magen machte ihm gerade klar, dass er auf Grund der Ereignisse das Abendbrot hatte ausfallen lassen. Mit seiner Beute setzte er sich an die offene Esstheke. Während er aß dachte er über seinen unfreiwilligen Gast nach. Die Angst stand ihm ganz deutlich ins Gesicht geschrieben. Was mochte der junge Mann wohl schon alles erlebt haben? Das man ihn zusammengeschlagen hatte, war eindeutig. Aber warum? Das allein konnte es jedenfalls nicht sein. Da musste doch mehr hinter stecken. Hjalmar beschloss, dieses Problem vorerst zu vertagen, bis er Frank selber danach fragen konnte.

"Aha", murmelte Frank und trat ins Bad. Dort fragte er sich schon wieder, wie der Typ, in dessen Wohnung er sich befand, hieß. Er zuckte nur mit den Schultern und erleichterte sich erst mal, dann hockte er sich auf den geschlossenen Toilettendeckel und zog die Knie an. Er legte den Kopf auf die Knie und atmete tief durch. So ziemlich alles tat ihm weh und dann spürte er die Flut der Tränen. Leise weinte er vor sich hin und verfluchte sein Leben. Immer wieder war es sein Bruder, der seine Kumpels anstachelte. Marko war nie dabei, aber er wusste, dass er die Fäden in den Händen hielt und das alles nur, weil er schwul war.

Die Zeit, die der andere im Bad verbrachte, erschien Hjalmar doch ziemlich lang. Also stand er auf und trat vor die Badezimmertür, hinter der er dann auch prompt ein Schluchzen vernahm. Ohne weiter darüber nachzudenken, riss er die Tür auf und trat ein.

"Frank! Ist dir was passiert?", fragte er atemlos. Doch dann sah er das Häufchen Elend auf seinem Toilettendeckel hocken und weinen. Langsam ging er vor ihm in die Hocke, strich dem anderen sanft durch das Haar.

"Was ist passiert, Frank?", fragte er leise.

Frank zuckte zurück, als der Mann ihm durch die Haare strich und floh regelrecht. "Was passiert ist?", echote er. "Nichts, gar nichts." Er spie die Worte regelrecht aus und fuhr trocken, ohne Gefühlsregung fort: "Ich bin nur zusammengeschlagen worden und das nicht zum ersten Mal."

Frank bebte vor Wut und Hass, Hass auf sich selbst und seine Veranlagung.

"Warum?", fragte Hjalmar entsetzt, mehr aus Reflex als das er wirklich eine Antwort erwartete. Er konnte nicht anders, aber er zog Frank einfach an sich um ihn zu trösten. Beruhigend strich er ihm über den Rücken.

"Hier wird dir keiner etwas tun, Frank. Wenn du willst, kannst du eine Weile bei mir wohnen. Ich lasse dich bestimmt in Ruhe."

Er wusste nicht, wieso er dem anderen das anbot. Irgendwie hatte er das Bedürfnis, ihn zu beschützen.

"Warum?" Frank entwand sich der Umarmung und ging auf Abstand. "Du willst wissen, warum ich zusammengeschlagen wurde?"

Trocken lachte Frank auf. "Weil ich schwul bin und jetzt kannst du mich gern vor die Tür setzen."

"Aha", sagte Hjalmar nur und sah Frank mit schiefgelegtem Kopf an. "Und deshalb muss man jemanden zusammenschlagen?" Er stand kopfschüttelnd auf. "Komm wieder mit hoch ins Bett, sonst hast du morgen zu deinen Abschürfungen, blauen Flecken und dem gebrochenen Handgelenk auch noch eine Erkältung." Hjalmar ging einfach aus dem Bad und wartete am Fuß der Treppe. "Frank, kommst du?", rief er.

Völlig verdutzt sah Frank dem Mann nach. Er verstand nicht so richtig, warum er trotz des Geständnisses so ruhig geblieben war. Erst als der Fremde nach ihm rief, setzte er einen Fuß vor den anderen und ging bis zu der Treppe. "Hast du vielleicht was zu trinken?", erkundigte er sich und fragte gleich noch: "Warum wirfst du mich nicht raus? Bin ich nicht verabscheuungswürdig, weil ich auf Männer stehe?"

Hjalmar drehte sich zu ihm um. "Ich habe oben am Bett eine Flasche Wasser und zwei Gläser stehen." Ohne ein weiteres Wort ging er die Treppe hinauf. Von der Galerie fragte er hinunter: "Warum sollte ich dich rauswerfen? Weil du auf Männer stehst?"

Er drehte sich um und ging zum Bett. "Ich stehe auf Frauen. Ekelst du dich jetzt vor mir?", rief er hinunter und wartete auf eine Reaktion von Frank.

"Nein, natürlich ekle ich mich nicht vor dir", murmelte Frank nachdenklich und folgte seinem Gastgeber in die nächste Etage. Unschlüssig blieb er stehen. Er fühlte sich nicht gerade wohl in seiner Haut. Er war hier immerhin fremd und dazu noch tüchtig angeschlagen.

"Warum hast du mich mitgenommen?", fragte er leise. "Du hättest mich doch auch in ein Krankenhaus bringen können, so wie es die anderen auch bisher gemacht haben."

In der Zwischenzeit hatte er die beiden Gläser mit Mineralwasser gefüllt. Als Frank im Schlafzimmer erschien, besah er sich seinen Gast im Licht der kleinen Nachtischlampe genauer an. Er war sehr schlank und machte einen wirklich unglücklichen und verängstigten Eindruck. Hjalmar konnte sich denken, wir er mit seiner Größe auf ihn wirken musste. In einem fremden Bett wach zu werden, nachdem man zusammengeschlagen wurde, nur weil man sich zu seinem eigenen Geschlecht hingezogen fühlte und sich dann auch noch so einem Kleiderschrank von Mann gegenüber zu sehen, musste ja in jedem Ängste auslösen.

Aufmunternd klopfte Hjalmar neben sich auf das Bett.

"Komm, setzt sich und trink einen Schluck", sagte er mit einem freundlichen Lächeln.

"Siehst du, genauso wie du dich nicht vor mir ekelst, genauso wenig finde ich dich verabscheuungswürdig. Jeder soll in die Federn steigen, mit wem er will. Ob mit Männlein oder Weiblein, allein oder im Rudel ist mir ziemlich egal. Das einzige, was ich absolut verabscheuungswürdig, pervers und als Verbrechen empfinge, ist, wenn es jemand mit Kindern treibt. Für diese Menschen habe ich absolut kein Verständnis."

Er unterbrach sich, nahm einen Schluck aus seinem Glas, ehe er fortfuhr.

"Warum ich dich nicht ins Krankenhaus gebracht habe? Ganz einfach: Die Charité ist zu weit weg, dass hätte zu lange gedauert. Ich wohne um die Ecke, habe einen absolut genialen Doc im Haus wohnen, der eine Koryphäe auf seinem Gebiet ist und mich auch schon unzählige Male ordentlich wieder zusammengeflickt hat."

Zögernd ging Frank auf das Bett zu und setzte sich neben den großen Mann, von dem tatsächlich keine Gefahr zu drohen schien. Nickend nahm er ihm das Glas ab und trank einen Schluck.

"Das Licht, an das ich mich erinnere, ist also das Licht der Praxis hier im Haus?" Frank stellte sein Glas auf dem Nachttisch ab und zog die Decke über seine Beine, da ihm leicht fröstelte. "Mir fehlt ein ganzes Stück in meinen Erinnerungen, kannst du mir sagen, was alles noch passiert ist, nachdem du mich gefunden hast."

"Tja, eigentlich ist nicht viel passiert. Ich habe dich in der Unterführung unter der Avus gefunden, du machtest einen ziemlich mitgenommenen Eindruck. Dann habe ich dich zu Thomas in seine Praxis gebracht, der hat dich untersucht, deine Wunde soweit versorgt, deine Hand geröntgt und geschient." Hjalmar zuckte mit den Schultern und erzählte weiter.

"Ich habe dich dann hier hoch in meine Wohnung gebracht und in mein Bett verfrachtet, da mein Sofa mega unbequem zum Schlafen ist. Außerdem ist das Bett ja groß genug." Er grinste jungenhaft und streckte sich bequem unter seiner Decke aus.

"Leg dich hin, Frank und schlaf noch ein bisschen. Morgen um 8:00 Uhr will dich mein Oberstabsarzt auf dem OP-Tisch haben und wenn wir verschlafen, macht er mir die Hölle heiß. Auch wenn er mein Freund ist, was medizinische Dinge angeht ist er ziemlich eigen, da darf man ihm nicht quer kommen." Er gähnte verhaltend. "Und nach der OP werde ich dir alle deine Fragen beantworten, wenn da noch welche sein sollten." Hjalmar kuschelte sich tief in die Decke und sah Frank einladend an. "Leg dich hin", sagte er nochmals leise mit einem Lächeln.

Frank hörte dem großen Mann zu und nickte verstehend, dann erkundigte er sich: "Wird nicht ein schwerer Bruch sofort genagelt oder mit einer Platte versehen? Ich meine, damit sich die Knochen nicht noch weiter verschieben. Wieso hat dein Arzt das nicht gleich erledigt, noch während ich ohnmächtig war? So ein normaler Bruch wächst auch so wieder zusammen, also warum muss ich auf den OP-Tisch?"

Frank hatte Wikinger, wie der Mann, dessen Namen er sich einfach nicht merken konnte, nicht aus den Augen gelassen und dabei zugesehen, wie dieser sich wieder hingelegt hatte.

"Keine Ahnung. Ich habe zwar auch Medizin studiert, aber was Thomas vorhat kann ich dir nicht sagen. Ich habe zwar schon öfter auf seinem OP-Tisch gelegen als auf einer schönen Frau, aber seine Ambitionen sind mir oft auch schleierhaft. Auf jeden Fall kannst du ihm vertrauen, er ist wirklich ein Meister auf seinem Gebiet. Die holen ihn sogar aus der Charité, wenn sie mal wieder so ein menschliches Puzzle haben, von dem man glaubt, dass derjenige nicht mal die nächsten fünf Minuten überlebt, aber Thomas kriegt die immer wieder zusammengeflickt." Hjalmar rutschte ein Stück zu Frank rüber und hob dessen Decke einladend hoch.

"Husch, drunter mit dir. Mach dir keine Gedanken, was Thomas auch mit deiner Hand vorhat, er wird dir nicht weh tun und deine Hand nicht verunstalten."

Frank rutschte tatsächlich unter die Decke. Von der Seite sah er seinen Retter an. Irgendwie war der Typ süß und freundlich war er auch. Unterdessen war sich Frank sogar ziemlich sicher, dass ihm hier keine Gefahr drohte.

"Auch auf die Gefahr hin, dass du mich jetzt auslachst, wie war dein Name noch mal? Ich mag dich nicht unbedingt Wikinger nennen."



weiter

zurück zum Geschichtenindex