Hjalmar und Frank

Teil 3


Der Blonde lachte warm auf. "Mein Name ist Hjalmar. Eigentlich ganz einfach, aber irgendwie haben die meisten Leute damit Schwierigkeiten. Verstehe ich nicht, ist doch ein ganz normaler schwedischer Vorname." Er langte über Frank hinweg zum Nachttisch, holte einen Bilderrahmen heran und hielt ihn Frank vor die Nase. "Hier, vielleicht hilft es dir, wenn du den Namen mal geschrieben siehst." Das Bild in dem Rahmen zeigte gut zwei Dutzend Krankenschwestern in der typischen Tracht, fein säuberlich in drei Reihen hintereinander gestaffelt, davor lagen zwei weißgekleidete junge Männer und alle lachten zusammen in die Kamera. Unter dem Bild standen die Namen der Abgebildeten. Hjalmar zeigte erst auf einen der liegenden jungen Männer und dann auf den Namen unter dem Bild.

"Das ist das Abschlussbild von meiner Krankenpflegeklasse. War echt nett, 25 Mädels und nur wir zwei Jungs." Er grinste breit.

"Wäre allerdings wohl nichts für dich gewesen, echter Frauenüberschuss." Sein Grinsen wurde noch ein bisschen breiter und eine ganze Spur wärmer. Plötzlich wurde er unvermittelt ernst.

"Sag mal, hast du die Kerle erkannt, die dir das angetan haben? Ich meine, damit wir zur Polizei gehen und eine Anzeige machen können."

"Dann war es für dich ja wie im Himmel", grinste Frank und lachte leise auf, dabei betrachtete er den jüngeren Mann auf dem Bild ganz genau. Ja, Hjalmar war ein hübscher Mann.

Plötzlich verzog sich Franks Gesicht. Ja, er wusste wer die Männer gewesen waren, aber das würde er Hjalmar nicht sagen und so erklärte er nur leise: "Nein, ich hab sie nicht erkannt."

"Schade", sagte Hjalmar. "Solchen Kerlen muss man einfach das Handwerk legen. Ich roll mich gelegentlich ja auch mal gern, aber dann suche ich mir wenigstens ebenbürtige Gegner, von denen ich dann auch tüchtig einstecke. Aber einen Schwächeren anzugreifen ist eine absolute Sauerei." Hjalmar war gerade dabei, sich in Rage zu reden, stoppte aber noch rechtzeitig.

Dann wechselte er unvermittelt das Thema.

"Na ja, so sehr der Himmel war es nicht für mich. Die meisten der Grazien auf dem Bild hatten einen Freund, der Rest war echt zickig, also bin ich meist mit Björn losgezogen." Er zeigte auf den zweiten jungen Mann auf dem Bild. "Und mit Thomas, der war da schon bei der Bundeswehr und hat studiert." Verträumt hing er einen Moment seinen Erinnerungen nach. Dann sah er Frank lächelnd an.

"Magst du mir ein bisschen über dich erzählen? Mehr als deinen Namen, dein Alter und deine Adresse weiß nämlich nicht über dich. Na ja und das du schwul bist." Er grinste in lieb an und sah ihm tief in die Augen.

"Und das du wunderschöne braune Augen hast", fügte er ganz leise hinzu.

Frank errötete leicht, als er Hjalmars letzten Satz vernahm. Er suchte sich eine gemütlichere Position und begann zu erzählen: "Ich bin ganz normal aufgewachsen. Na gut, ich hatte nie einen Vater, der hat meine Mutter sitzen lassen, als sie mit mir schwanger war." Bewusst verschwieg Frank seinen Bruder. Er besaß nicht die Kraft um über Marko zu reden. "Ich hab die Realschule besucht und die 10te mit einem Durchschnitt von 2,1 bestanden, danach hab ich eine Ausbildung zum Fliesenleger gemacht und mit einem sehr guten Abschluss bestanden. Jetzt arbeite ich bei einer kleinen Firma."

Hjalmar lauschte aufmerksam Franks Worten. "Und was machst du, wenn du nicht arbeitest?", fragte er interessiert. Eine weitere Frage brannte ihm auf der Zunge und er überlegte, ob er sie stellen konnte, ohne unhöflich oder zu neugierig zu erscheinen, doch dann gab er sich einen Ruck und fragte:

"Hast du einen Freund?" /Wieso interessiert mich das eigentlich?/, überlegte Hjalmar. /Ist da mehr als nur höfliches Interesse?/, nörgelte eine kleine gemeine Stimme im Hintergrund. /Seit wann interessieren dich denn Schwule?/

"Ich bin zu Hause und hocke vorm Internet oder sehe fern, je nachdem was gerade läuft. Samstags geh ich ab und zu mal weg, aber eher selten." Frank glaubte in den Augen Hjalmars versinken zu können und am liebsten hätte er sich jetzt in die starken Arme verkrochen, um dort die Welt und die Ereignisse vergessen zu können. Da ihm dies nicht möglich war seufzte er nur leise auf und antwortete leise, etwas melancholisch angehaucht: "Nein, ich habe keinen Freund, hatte noch nie einen."

Er sah in das plötzlich traurige Gesicht des anderen. Irgendwie weckte dieser Anblick den Beschützerinstinkt in Hjalmar. Impulsiv wie er nun mal war, rutschte er zu Frank rüber und zog ihn einfach in seine Arme.

"Dann scheidet ein eifersüchtiger Ex-Lover also als Grund für die Schläge aus", resümierte der Blonde leise. Sanft und beruhigend, wie bei einem verängstigten Kind, strich er ihm über den Rücken.

Frank ließ sich ziehen. Er kuschelte sich an den nackten Oberkörper, sog die Wärme regelrecht in sich und schluchzte auf: "Kein Ex", erklärte er mit tränenerstickter Stimme. "Aber ein Bruder..."

Die Dämme brachen. Für Frank gab es kein Halten mehr. Hemmungslos begann er zu weinen und klammerte sich an Hjalmar. Er begriff nicht, wie ihn sein eigener Bruder so hassen konnte, dass er Schläger losschickte.

"Bruder?", fragte Hjalmar verständnislos und streichelte weiter einfach nur beruhigend über den bebenden Rücken. Vorsichtig angelte er nach dem Paket Papiertaschentücher auf dem Nachtisch und hielt es Frank wortlos hin.

"Er steckt hinter all dem." Franks Finger suchten Halt und fanden sie in Hjalmars Schultern. "Er..." Gepeinigt schloss der junge Mann die Augen. Er schaffte es einfach nicht auszusprechen, was wirklich Sache war. Er konnte doch keinem Wildfremden erzählen, dass sein Bruder vor Jahren auf die schiefe Bahn geraten war und zu einer der gefährlichsten Rechtsradikalen-Gruppe gehörte und das es einige dieser Gruppe gewesen waren, die ihm in der Unterführung aufgelauert hatten.

"So ein Schwein!!", entfuhr es Hjalmar. Erschrocken schlug er sich mit der freien Hand auf den Mund. "Entschuldige", sagte er leise und zog Frank noch ein bisschen näher. "Aber warum? Ihm geht doch nichts ab, wenn du auf Männer stehst." Hjalmar schüttelte nur den Kopf. So etwas konnte er nicht begreifen. Jeder sollte doch so leben und lieben, wie es ihm gefiel.

"Schwule, Lesben, Ausländer, Behinderte - die alle passen nicht in sein Weltbild und sind keine guten Deutsche..." Frank verstummte. Alles, was er jetzt brauchte, war Halt und eine Schulter, an der er sich ausweinen konnte und gerade diese Schulter befand sich vor ihm, in Form eines großen, kräftigen Mannes. Zum ersten mal nahm er den Geruch Hjalmars wahr und die Weichheit der Haut und vor allen Dingen die wirklich kräftige Brust. Der Mann, bei dem er sich befand, war ein Traum, nur leider heterosexuell.

"Er gehört einer dieser rechtsextremen Gruppen an und nachdem er mich mit einem Mann erwischt hat, bin ich nicht mehr sein Bruder, sondern nur noch ein widerliches Objekt." Frank merkte gar nicht, dass er mit den Fingern über Hjalmars Brust strich. Er tat es unbewusst und um sich zu beruhigen und von dem Schmerz abzulenken.

"Huh, dann gehöre ich ja auch in diese Liste", grinste Hjalmar und sah auf das Häufchen Elend hinab, das sich so hilfesuchend an ihn schmiegte. Irgendwas erwachte in ihm, was eindeutig mehr als nur Beschützerinstinkt war. Mal wieder ohne lange nachzudenken sagte er:

"Ich biete dir nochmals an, eine Weile bei mir unterzukriechen." Hjalmar wusste gar nicht, wie er auf diesen Gedanken kam, kannte er Frank doch kaum. Vielleicht war er nur ein guter Schauspieler, der ihn in Sicherheit wiegen wollte und dann... ja was, dann? Die Wohnung ausrauben? Dafür betrieb er dann aber ziemlich viel Aufwand. Die altersschwache Wohnungstür hätte er mit einem nassen Taschentuch aufhebeln können. Außerdem, wer ließe sich für so etwas zusammenschlagen?

Vielleicht wollte er über ihn an die Forschungsergebnisse seines Profs herankommen? Aber das momentane Projekt war absolut unspektakulär und überhaupt nicht geheim. Welche Gründe hätte er sonst? Hjalmar fielen keine vernünftigen ein.

Plötzlich wurde er sich der streichelnden Finger bewusst. Es kribbelte, war ein wunderschönes Gefühl.

"Aber ein liebenswertes, widerliches Objekt", sagte Hjalmar leise und fing die Finger auf seiner Brust ein, zog sie an seine Lippen und hauchte einen kleinen Kuss darauf.

"Zu dem Punkt Ausländer, nehme ich mal an", murmelte Frank und hob den Kopf ein wenig, damit er Hjalmar in die Augen sehen konnte. "Wer weiß, vielleicht bleibe ich wirklich eine Weile hier. Wenn ich nicht wieder bei mir auftauche, nimmt Marko vielleicht an, das er mich endlich aus dem Verkehr gezogen hat."

Frank schmieget sich noch näher an die weiche, warme Haut und atmete ganz tief durch. Irgendwie fühlte er sich in der Nähe des Großen geborgen und wer wusste, hier konnte er vielleicht wirklich mal für ein paar Tage ausruhen und vergessen. Er hörte Hjalmars leise Worte und spürte die warme Welle, die sich noch verstärkte, als Hjalmar einen Kuss auf seine Finger hauchte. Er erzitterte in den Armen und versuchte es irgendwie zu verbergen.

"Nur indirekt. Ich habe die deutsche Staatsangehörigkeit, aber von der Abstammung her bin ich Däne mit norwegischen und schwedischen Großeltern. Na ja, behindert bin ich zum Glück nicht, nur Bundeswehrgeschädigt. Lesbisch bin ich auch nicht." Hjalmar grinste breit. "Und ob ich schwul bin, weiß ich nicht, das habe ich noch nicht ausprobiert." Sein Grinsen wurde noch eine Spur breiter. "Aber wenn du eine Weile bei mir bleibst, vielleicht kannst du mir ja da ein bisschen Nachhilfe-Unterricht geben."

Erschrocken fuhr Frank hoch und blieb vollkommen verwirrt neben Hjalmar sitzen. Mit gerunzelter Stirn sah er auf seinen Gastgeber hinab und sagte: "Du willst mich doch gerade verarschen, oder?"

Franks plötzlichen Gefühlsausbruch vollkommen verdattert registrierend, sah Hjalmar ihn an. "Wieso sollte ich dich verarschen wollen?" Er schüttelte irritiert den Kopf.

"Ich meinte das eben ernst. Ich kann doch nur etwas beurteilen, was ich kenne."

"Ah ja und deswegen machst du mir nichts, dir nichts einen Antrag, um feststellen zu können, ob du vielleicht schwul sein könntest. Meinst du nicht, du hättest das auch mal in einem Club probieren können?" Frank verschränkte, so gut es ging, die Arme vor der Brust. "Deine Anmache ist total mies", fuhr er fort. "Da hättest du dir schon was besseres einfallen lassen müssen. Auf die Ich-bin-ja-so-unerfahren-Tour fall ich bestimmt nicht rein."

Hjalmar richtete sich nun auch auf und sah Frank mit großen Augen an.

"Entschuldige, wenn das eben wie Anmache geklungen hat. Das sollte es nicht." Er war ehrlich bestürzt über die heftige Reaktion des anderen.

"Und ja, ich bin in der Hinsicht wirklich unerfahren. Du bist auch der erste Schwule, der mir über den Weg gelaufen ist." Plötzlich grinste er. "Na ja, eigentlich lagst du mir da so vor den Füßen rum."

Er fuhr sich durch die schulterlangen blonden Haare.

"Oh Scheiße, ich sollte mein vorlautes Mundwerk halten." Hjalmar rückte ein kleines Stück von Frank ab und senkte betroffen den Blick auf die Bettwäsche.

"Entschuldige bitte, wenn das jetzt so geklungen hat, als ob ich eine günstige Gelegenheit nutzen wollte, um meine Erfahrungen zu erweitern."

Frank hörte Hjalmars Gestammel an und musterte den Mann ganz genau. Er konnte einfach nicht sagen, ob es eine Anmachmasche des Riesen war oder ob er sich nur falsch ausgedrückt hatte.

Eins hatte Frank bestimmt nicht und zwar etwas dagegen von diesen Armen festgehalten und vielleicht sogar berührt zu werden. Irgendwie musste er herausfinden, ob Hjalmar seine Worte wirklich so meinte. Kurz sinnierte Frank und dann kam ihm die passende Idee. Sein Glück war, dass Hjalmar bis auf den Slip nackt war und er somit fast freie Bahn hatte. An Hjalmars Reaktion würde er sicherlich gleich erfahren, ob er ihm nur den Hetero, ich will wissen ob ich auch mit Männern kann, vorspielte und in Wirklichkeit schwul oder ob Hjalmar tatsächlich ein Hete war.

So schnell wie es Frank möglich war, hatte er Hjalmar die Decke weggezogen und im nächsten Moment lag seine Hand auf dessen Schritt.

Erschrocken jappte Hjalmar auf, als Frank seine Hand auf seinen Schritt legte. Mit entsetzgeweiteten Augen sah er den Braunhaarigen an.

"Spiel nicht mit mir, wenn du es nicht ernst meinst", flüsterte er leise und zog Frank zu sich heran, ohne den Blick von den faszinierenden braunen Augen zu wenden.

"Das sollte nur ein Test sein und diesen hast du bestanden!", erklärte Frank und ließ sich von Hjalmar höher ziehen. Die vor Schreck und Erstaunen geweitete Augen waren ihm Antwort genug gewesen. Er schmiegte sich einfach an Hjalmar, so als wäre nichts gewesen und begann dessen Bauch zu streicheln. "Ich glaub, ich bleib wirklich ein paar Tage hier. Kann dein Arzt in meiner Firma anrufen und mich krank melden?"

"Na, du bist mir ja ein Früchtchen", grinste Hjalmar, um seine Unsicherheit zu überspielen. Sein Herz schlug bis zum Hals, was Frank, so hoffte er, nicht mitbekam. In ihm hatte es irgendwo "knack" gemacht und ihn völlig verunsichert. War er jetzt schwul und wusste es nicht? Oder war er bi? Immerhin hatte er bis jetzt nur Freundinnen gehabt und nie irgendwelche Beschwerden seitens der Mädels noch seitens seines Körpers bekommen, wenn er mit ihnen in die Federn gehüpft war. Auch hatten ihn andere Männer nie interessiert, aber bei Frank war irgendwie alles anders. Vielleicht lag es daran, dass er ihn so hilflos gefunden hatte und sich nun sein Beschützerinstinkt sehr vehement gemeldet hatte. Aber da war doch mehr, da war er sich sicher! /Hjalmar Gunnar Herjulf, ganz ruhig. Erst mal soll Thomas ihn zusammenflicken, dann sehen wir weiter/, versuchte er sich selber zu beruhigen, doch die Finger auf seinem Bauch machten ihn schon wieder ganz kribbelig. Erneut fing er sie ein.

"Wenn du wirklich nichts von mir willst, dann hör damit bitte auf", sagte er leise.

"Sicher kann dich Thomas krankschreiben. Ich denke mal, dass er das sowieso tun wird. Er wird dich bestimmt nicht so wieder auf die Menschheit loslassen." Hjalmar überlegte einen Moment.

"Dann sollten wir aber noch mal in deiner Butze vorbeifahren und ein paar Klamotten holen, denn das, was du gestern Abend anhattest, taugt gerade mal noch für den Container und meine Sachen sind dir definitiv zu groß." Grinsend zupfte er an dem T-Shirt, das Frank bis um die Knie schlotterte, wo es bei Hjalmar mal gerade bis über den Hintern reichte.

"Wer hat denn gesagt das ich nichts von dir will?" Fragend sah Frank zu Hjalmar auf, unterließ aber das Streicheln und wartete gespannt auf eine Reaktion des Riesen.

"Wenn du ein Mädchen wärst, würde ich dich jetzt zu Boden knutschen", antwortete Hjalmar ganz dicht vor Franks Gesicht.

Frank schluckte leicht und murmelte: "Dann stell es dir doch einfach vor und tu es!" Er brachte sein Gesicht noch näher an Hjalmars, so nah, das sich ihre Lippen fast berührten. "Wenn wir zu mir fahren, dann kommst du doch mit rauf und passt auf, oder?"

"Sicher pass ich auf dich auf, Kleiner", flüsterte Hjalmar und schloss die Augen. Er ließ sich einfach nach vorn fallen, begrub den Kleineren halb unter sich und küsste ihn. /Was hat der Kerl, dass ich so was tue?/, fragte er sich kurz und schob dann diese Gedanken ganz weit nach hinten. Jetzt wollte er einfach nur diese Lippen spüren.



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