Das Mao Thai

Teil 1

 

Es war ein wirklich gelungener Coup gewesen. Ricky freute sich wie ein Schneekönig. Zuerst war er ja sauer gewesen, als ihn der Boss der Tokyoter Yakuza nach Berlin geschickte hatte, wo er eines der kostbaren Farbergé-Eier aus dem Museum stellen sollte. Der Auftrag war so was von einfach, dass er es schon fast als Beleidigung seiner Fähigkeiten ansah. Immerhin war er das Phantom. Diesen Spitznamen hatte der Sohn eines Yakuza und einer Deutschen von der Polizei seiner Geburtstadt bekommen, da man ihn noch nie gesehen hatte und die Ordnungshüter ihn nur immer an seiner "Arbeit" erkannten. Saubere Einbrüche, keine Zerstörung, keine Fingerabdrücke und die Bestohlenen merkten oft erst nach langer Zeit, dass ihnen etwas fehlte und dann war Ricky, der eigentlich Takashima Richard Kenjiro hieß, schon lange über alle Berge. Ebenso legendär waren seine Balancekünste. Ricky hatte ein phantastisches Gleichgewichtsgefühl, er konnte auf allem balancieren, egal wie schmal oder wie schwankend es war und in Tokyo ging das Gerücht, er könne sogar auf einer Bleistiftspitze balancieren, aber das war natürlich nur ein Märchen.

Nun huschte Ricky über die Dächer, die hier viel breitere Dachfirste hatten als in Tokyo und die für ihn geradezu wie Spazierwege waren. Lächelnd betrachtete er das Farbergé-Ei in seiner Hand und da passierte es. Er übersah einen losen Dachziegel, stolperte und rauschte das Dach hinunter. /Nur nicht das Ei fallen lassen!/, war sein wichtigster Gedanke. Dann wurde es kurzfristig dunkel um ihn. Als Ricky wieder klar sehen konnte, lag er in einer hellerleuchteten Großküche, mitten in einem See aus Glassplittern, mit dem Hintern in einem der großen Spülbecken. Verdattert blickte er sich um, sah die erstaunten Blicke der Umstehenden und dann blieb sein Blick an den dunkelbraunen Augen eines jungen Asiaten hängen, der ihn mit offenem Mund anstarrte.

 

Grinsend schlug Chiat seinem jungen Küchengehilfen auf die Schulter. "Das macht nichts", sagte er und goss den mit viel zu viel Fischsoße angemachten Dip weg. "Mach's einfach noch mal!"

Die Küchenhilfe nickte lächelnd und drehte sich weg, um einen neuen Dip anzurühren, während Chiat sich eine Möhre vornahm und daraus einen Schmetterling schnitzte, den er dann auf ein Hauptgericht setzen konnte.

Plötzlich regnete es Glassplitter und ein Mensch segelte durch das Dach. Mit dem Hintern landete er in dem linken Teil der Spüle und Chiat starrte ihn aus großen Augen an.

Alles Gute kommt von oben, huschte es ihm durch den Kopf, doch der Mann vor ihm wirkte nicht gerade vertrauenswürdig, dazu kam noch das teuer aussehende Ei in dessen Hand.

"Das ist meine Küche!", stellte er lächelnd fest und reichte dem Fremden dennoch die Hand, um ihm aus der Spüle zu helfen. Seine Unsicherheit ließ er sich durch nichts anmerken.

Ricky ließ sich aus der Spüle helfen. "Chikusho! [Scheiße!]", fluchte er herzhaft, als er mit nassem Hinterteil wieder festen Boden unter den Füssen hatte. Dann besann er sich auf seine gute Erziehung und sagte zu dem etwas kleineren Mann: "Danke." Er versuchte gar nicht erst, dass Farbergé-Ei zu verbergen. "Ähm, ...wo geht es denn hier raus?", fragte er, ohne diese faszinierenden Augen des anderen aus dem Blick zu lassen. Er war es ja gewohnt, immer braunäugige Menschen um sich zu haben, aber diese Augen hatten irgendwas besonderes, etwas, das ihn magisch anzog.

Chiat ging auf die Frage des Mannes gar nicht ein. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er sah in die Runde und nickte seinem Beikoch zu, der sich unauffällig zum Lieferanteneingang verzog.

"Ich hoffe mal, Sie haben eine gute Haftpflichtversicherung, die für den Schaden aufkommt."

Ricky sah den anderen entgeistert an. "Was?"', fragte er etwas dümmlich. Er blickte sich vorsichtig um und sah, dass einer der Männer sich langsam in den Hintergrund schob. /Der Lieferantenausgang ist also schon mal gecancelt/, resümierte Ricky. /Also Flucht nach vorn und quer durchs Restaurant oder was auch immer das hier ist./ Er bewegte sich langsam in die Richtung, in der er den Ausgang zum Lokal vermutete.

Das Lächeln in Chiats Gesicht erstarb nicht. Weiterhin betrachtete er den Mann vor sich und gab mit den Fingern nur ein kurzes Zeichen, damit jemand den Kellnern Bescheid gab.

Chiat verstellte dem Fremden geschickt den Weg, wenn er jetzt an ihm vorbei wollte, dann musste er entweder über die riesige Spülmaschine hechten, was gar nicht so einfach wäre oder aber er musste an dem Regal mit den Tellern vorbei.

"Sie werden doch eine Versicherung haben?", erkundigte sich der Thai noch mal, dann sagte er in seiner eigenen Sprache, so dass ihn der Fremde nicht verstand, dass jemand den Chef anrufen und die Polizei informieren sollte. "Wer soll sonst für den Schaden aufkommen? Ich?"

Der Thai stellte sich auf alles ein, sogar darauf, dass der Fremde sich den Weg freischlagen würde.

Gehetzt blickte sich Ricky um. Diese Situation war ihm vollkommen fremd, denn noch nie war er bei einem Bruch oder auch danach erwischt worden, er kannte sich also mit so etwas gar nicht aus. So wie der Thai jetzt stand, war ihm der Weg durch das Lokal auch versperrt. Der Blick der dunkelgrauen Augen hetze durch die Küche, blieb an dem See aus Glassplittern und Wasser neben der Spüle hängen. Kurz blickte Ricky nach oben zu dem Oberlicht, durch das er eben gerade gefallen war, dann hinüber zu dem Regal mit den Tellern und wieder zurück zu dem Asiaten vor ihm. Unauffällig steckte er das Farbergé-Ei in eine Tasche seiner Jacke. Nun hatte er beide Hände wieder frei. Noch einmal blickte er in diese faszinierenden braunen Augen, dann sprintete er los. Fast aus dem Stand sprang er auf das schmale Geschirr-Regal, balancierte geschickt darauf entlang, sprang auf das Oberlicht zu und bekam den Rand zu fassen. Ein eleganter Aufschwung und Ricky konnte sich hoch auf das Dach stemmen. Noch einmal blickte er hinunter in die Küche, traf auf den Blick der braunen Augen des Kochs und murmelte ein leises "Oyasumi nasai [Gute Nacht]"

Chiat kam gar nicht mehr dazu den Fremden aufzuhalten, der so schnell, wie er hier gelandet war, auch wieder verschwunden war. Irritiert sahen er und die anderen in der Küche sich an, als seine Küchenhilfe wiederkam und ihm mitteilte, das der Chef und die Polizei verständigt waren und schon vernahm er die Sirenen.

"Na toll", brummte er. "Und ich darf den ganzen Mist jetzt ausbaden. Ich geh mal vor in den Gastraum und erklär den Gästen, dass es etwas länger dauert mit dem Essen. Das hier können wir ja nicht mehr anbieten. Überall können Glassplitter drin sein."

***

Mit einem leisen Seufzen legte Dimi den Grafitstift beiseite und klappte den Zeichenblock zu, legte auch diesen auf seinen Couchtisch - betrachtete die hereinbrechende Nacht und überlegte, ob er noch zum Einkaufen gehen sollte oder nicht vielleicht doch .... "Nein, nicht schon wieder Pizza - die kommt mir langsam zu den Ohren raus. Mal sehen, was es sonst noch gibt...." Leise zu sich selber wispernd, nahm der schlanke Maler das Telefonbuch heraus und blätterte ein wenig darin - sah sich die Adressen der einzelnen Restaurants an und seufzte leise, ehe er das Buch wieder weglegte und nickte. 'Hm.... vielleicht sollte ich mir mal wieder was gönnen. Das letzte Mal, dass ich essen gegangen bin, war mit.... vergiss es einfach.' In Gedanken mit sich selber hadernd, reagierte Dimi schon längst und schlüpfte in seine Stiefel, die schwarze Lederjacke vom Haken nehmend - zog auch diese über und band die langen, weißblonden Haare im Nacken zusammen, steckte noch Schlüssel, Handy und Geldbeutel ein und machte sich auf den Weg zu dem Thai-Restaurant, das im letzten Jahr nicht allzu weit entfernt geöffnet hatte.

Ohne weiter auf seine Umgebung oder die noch flanierenden Menschen auf den Straßen zu achten, ging der junge Maler weiter, dabei ein wenig nachdenkend .... stockte erst, als er schließlich vor dem Restaurant ankam und musterte dessen Namen, das eher dezent gehaltene Mao Thai und nickte. 'Wird schon was sein... Richard hat immer davon geschwärmt, wenn er... hör auf, an ihn zu denken.' Leise, stille Gedanken, die Dimi beschäftigten, als er eintrat - sich schließlich in eine eher stillere, dunklere Ecke setzte und die Jacke über den Stuhl hängte, dem Ober freundlich zunickend, als dieser ihm eine Speisekarte brachte.

Chiat fuhr sich mit den flachen Händen übers Gesicht, dann nahm er seine Kochmütze ab und näherte sich der Klapptür. Hinter dem braunen Holz blieb er stehen, ehe er die Tür ein Stück in den Gastraum drückte und hindurch spähte. Die Gäste verhielten sich ruhig, ganz normal. Sie schienen nichts mitbekommen zu haben. Gerade eben kam sogar noch ein neuer Gast und suchte sich die ruhige, gemütliche Nische aus, die auch Chiat so sehr mochte. Sein Blick glitt über den zart wirkenden Mann.

Reiß dich zusammen, Chiat, rief er sich zurecht, ehe er in den Gastraum trat.

 

***

 

Ricky war auf dem Dach nur einige Schritte weit gelaufen, gerade so weit, dass man ihn durch das zerstörte Oberlicht nicht mehr sah. Dann blieb er stehen. Wieso hatten ihn die braunen Augen des Chefkochs, denn irgendwie war er sich sicher, dass der gutaussehende Asiat der Chef der Küche war, wieso hatten ihn diese Augen so gefesselt? /Heh, Takashima Richard Kenjiro, dass war ein Kerl!!/, rief er sich selber zur Raison. /Seit wann interessieren dich Kerle?/ Die Sirenen der heranstürmenden Polizei rissen ihn aus seinen Gedanken. Immer wieder war er von dem Lichterspiel der Signallichter der Polizeiautos fasziniert, egal ob in Tokyo, New York, Hongkong oder hier in Berlin. Sein Sensei hatte ihn oft dafür gerügt, dass er nach einem Bruch in der Nähe blieb oder sogar Tage später zurückkehrte, nur um aus sicherer Entfernung die Ermittlungen zu beobachten, wenn man endlich den Einbruch und den Diebstahl bemerkt hatte. Ricky hatte sich dann damit verteidigt, dass er aus den Ermittlungen und dem, was die Polizei herausfand, nur lernen könne und diese Fehler beim nächsten Mal nicht wieder zu machen. Das er einen kindlichen Spaß an den funkelnden Lichtern hatte, sagte er natürlich nicht. Leider konnte er heute nicht lange bleiben, denn das Intermezzo in der Küche hatte ihn schon genug Zeit gekostet. Sein Kontaktmann wartete bereits seit einiger Zeit am Treffpunkt und Ricky wollte auch so schnell wie möglich das Ei loswerden. Irgendwie brannte es ihm dieses Mal unter den Nägel. Vielleicht weil ihn zum ersten Mal jemand mit der Beute gesehen hatte. So etwas war ihm vorher noch nie passiert und genau dafür verfluchte er sich. /Hoffentlich hat der Kerl kein gutes Personengedächtnis und die anderen in der Küche auch nicht/, dachte er, denn dann wäre es vorbei mit seinem Spitznamen Phantom. Bis jetzt existierten auf der ganzen Welt nicht ein einzige Bild oder eine Phantomzeichnung von ihm, so dass die Polizei ihn eigentlich immer nur an Hand seiner "Arbeit" erkannte. Ricky hoffte, dass sich das nun nicht gerade geändert hatte.

 

***

 

Gerade hatte sich Dimi eines der Gerichte herausgesucht und wollte bestellen, als er eine Bewegung im Augenwinkel sah. Kurz eine der dunklen Brauen hebend, wunderte er sich, dass der Koch oder Oberkellner - oder was auch immer - aus der Küche herauskam und auf die Gäste sah, zu sprechen ansetzte. Nun doch neugieriger geworden, stützte er das Kinn auf der Hand auf - strich sich nebenher eine der langen Ponysträhnen hinter das Ohr und wartete gespannt darauf, was er zu hören bekommen würde. 'Garantiert, dass die Küche abgebrannt ist oder Ähnliches... bei meinem Glück? Hundert Pro... Miesepeter.' Leise, gehässige Gedanken, die Dimi an sich selbst richtete - und auch gleich wieder unterband, als der Asiat Luft zum Sprechen holte.

Chiat holte noch einmal tief Luft, ehe er sein Sonntagslächeln aufsetzte und mit voller Stimme erklärte: "Leider gab es ein kleines Unglück in der Küche..." Eigentlich wollte er weiterreden, doch in diesem Moment, vernahm er aus der Küche die Stimme seines Chefs. Sein Lächeln verflog, doch schnell hatte er sich wieder im Griff. Soeben traten auch die uniformierten Männer durch den Haupteingang. "Ich hoffe, Sie lassen sich durch die Polizei nicht verunsichern, denn soeben wurde ein Überfall auf uns verübt."

Chiat dachte angestrengt nach. Er konnte den Gästen ja kaum mitteilen, dass ein Mann durch das Oberlicht gefallen und wieder abgehauen war. "Die Getränke gehen natürlich aufs Haus und wenn sie eine Weile warten wollen, dann verspreche ich ihnen, dass sie auch noch ihr bestelltes Gericht bekommen."

Chiat winkte nach Dong und wies ihn an, sich mit den anderen um die Gäste und deren Wohl zu kümmern, danach wies er den Polizisten den Weg.

'Natürlich ... wie sollte es auch anders sein. Na ja, wenigstens sind die Getränke umsonst....' Leise in Gedanken seufzend, ließ Dimi seinen Blick den Polizisten folgen und betrachtete dabei den Asiaten, der ihnen die Nachricht mitgeteilt hatte - für einen winzigen, unbeachteten Augenblick umspielte ein Lächeln die Züge des Weißblonden, dann fing er sich wieder und schalt sich in Gedanken einen Narren, weshalb dieser ausgerechnet am selben Geschlecht und dann auch noch ausgerechnet an ihm interessiert sein sollte und bestellte bei dem nun an den Tisch tretenden Ober eine große Apfelschorle.

Bevor Chiat die Tür zur Küche hinter sich zuzog, sah er noch mal zu dem hellhaarigen Mann in der Nische. Er lächelte ihn an und nickte leicht, dann verschwand er in der Küche, wo schon sein Chef Kob und die anderen warteten.

Geduldig beantwortete er die Fragen und ließ es über sich ergehen, dass in seiner Küche Fingerabdrücke genommen wurden. Als sich die Uniformierten den Angestellten widmeten, öffnete Chiat den Kühlschrank und holte Khanom Luk Jub[1]hervor. Normalerweise bot dies ein Thai-Restaurant nicht an, da diese Süßigkeiten nur in Garküchen auf Märkten angeboten wurde, aber dies war dem jungen Thai egal. Er drapierte die Süßigkeiten auf kleinen Tellern und betrat wieder den Gastraum. Er verteilte die Teller an den Tischen, an denen noch Gäste saßen und freute sich, dass der Mann in der Nische durchgehalten hatte.

Galant stellte er den Teller vor ihm ab, lächelte und wünschte: "Lassen sie es sich schmecken. Eine kleine süße Köstlichkeit."


[1] feines, köstliches Mungobohnen-Marzipan, zu Früchten geformt, mit dünnem farbigen Gelee überzogen, in Form von Bananen, Birnen, Äpfeln und Weintrauben.

 

 

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