Das Mao Thai

Teil 2

 

Völlig in Gedanken versunken noch mal die Speisekarte durchgehend, hatte Dimi den Thai erst bemerkt, als dieser direkt vor ihm stand und ihn ansprach - sah nun ein wenig verdutzt auf die kleinen Früchtchen, lächelte dabei unwillkürlich auf und nickte. "Ich danke ihnen - die sehen herrlich aus, was ist das?"

Während er sprach schon eine der kleinen Trauben aufnehmend, schnupperte Dimi daran - widerstand aber noch und hob fragend eine Braue, da er seine Neugier schon zu oft mit dem ihm unangenehmen Geschmack einer Alkoholpraline bezahlt hatte.

"Das ist eine Art Marzipan aus Mungobohnen", erklärte er lächelnd. "Kosten Sie ruhig. So was werden Sie so schnell nicht wiederbekommen. Khanom Luk Jub, wie es bei uns heißt, gibt es normalerweise in keinem Restaurant. Ich stell nur welche her, weil ich sie gern esse." Chiat musterte den Mann vor sich ganz genau. Die Haare waren ja unendlich lang. Noch nie hatte er so langes Haar gesehen und schon gar nicht bei einem Mann. "Kann ich Ihnen bei der Wahl des Essens irgendwie behilflich sein?", erkundigte er sich lächelnd, damit hatte er einen guten Grund noch einen Moment länger bei dem Mann stehen zu können.

Mit einem weiteren kurzen Lächeln bedankte Dimi sich und biss in die kleine Marzipantraube - schloss für einen Moment seine Augen und genoss einfach, ehe er die Traube langsam aufaß und erst dann antwortete. "Die sind wirklich gut - besser als das Marzipan, das man hier eigentlich bekommt. Und selber gemacht? Wow." 'Idiot, der ist wahrscheinlich Koch und kann das - und hör auf zu lächeln, machst dich ja lächerlich.' In Gedanken mit sich selber schimpfend, verbannte Dimi jeglichen inneren Streit und nickte kurz - seufzte dann und nahm die Karte auf, ehe er sich wieder an den Asiaten wandte. "Ja. Ich... bin ehrlich. Ich habe Angst, das Gericht, das ich aussuche, könnte zu scharf sein... am liebsten wäre mir etwas mit Rindfleisch und dieser schmackhaften, dunklen Sauce, auch wenn ich keine Ahnung habe, was das ist... ich hab's mal von einem Bekannten mitgebracht bekommen. Und ich mag's eben ein wenig milder und wollte nicht wieder süß-sauer nehmen."

Chiat nickte zufrieden. Dem Mann schmeckten die Süßigkeiten. "Ja, die mache ich selber und noch andere Süßspeisen. Ist schließlich mein Job. Ich bin der Chefkoch vom Mao Thai"

Kurz dachte er nach, was er dem Mann empfehlen konnte, ehe er antwortete: "Wie wäre es mit phat-thai-sai-khai nüüa - gebratenen Nudeln nach Thaiart mit Rindfleisch. Ich kann es ohne Chili kochen. Davor empfehle ich eine Thom ka gkai - eine traditionelle Suppe mit Huhn, wobei ich sie lieber als thom ka gung, also mit Riesengarnelen mag. Dazu empfehle ich einen Mangosaft oder ein Singha - thailändisches Bier."

"Das hört sich sehr gut an... und bitte ohne das Chili. Die Suppe mit Garnelen, als Getränk bitte den Saft. Wenn es geht." Die Bestellung wieder mit seiner gewohnten Kühle abgebend, milderte Dimi es mit der ehrlichen Bitte am Schluss... fragte sich dabei jedoch in Gedanken, wie viele der Gäste wohl immer Extrawünsche hätten und nahm sich derweil automatisch einen Marzipanapfel, ihn in Gedanken genießend. "Diese Früchtchen sind wirklich einmalig... gibt es die nur bei Ihnen? Gekauft sind sie, denke ich, weniger gut, oder?" Ehrliches Interesse zeigte sich während der Worte in seinen Zügen und auch den goldbraunen Augen, da solche kleinen Süßigkeiten eine Schwäche von ihm waren.

Chiat nickte und notierte sich in Gedanken die Bestellung. Er nickte den Polizisten zu, als diese das Lokal verließen. Es schien wohl alles geklärt zu sein.

"Die süßen Sachen gibt es hier sonst auch nicht", erklärte er lächelnd. "Wie gesagt, ich mach die nur für mich und Freunde. Ich kenne nur wenige Orte hier in Berlin, wo man so was bekommen kann, aber nicht in Restaurants. Sie müssen mal an einem Wochenende in den .....Park[1] gehen. Meine Landsleute treffen sich dort den ganzen Sommer über und da werden Khamon verkauft. Aber Sie können ruhig auch wieder hier vorbeischauen, dann bekommen Sie welche von mir. Fragen Sie einfach nach Chiat."

Chiat entfernte sich nickend von dem Tisch an dem der hellhaarige Mann saß und sagte laut, so dass ihn die letzten Gäste verstanden: "Wir werden jetzt in der Küche aufräumen und dann kommen Ihre bestellten Speisen."

Im Kopf ging er noch mal fix die Bestellung des Mannes durch, dann verschwand er hinter der Tür zur Küche.

 

***

 

Ladislaw brummte schlecht gelaunt vor sich hin. Nichts, aber auch gar nichts konnte er mehr machen. Wenn er das eine tat, dann geschah etwas, was er überhaupt nicht mochte. Und wenn er nichts tat, was in seinen Augen die einzige Alternative war, die ihm zur Verfügung stand, dann starb er vor Langeweile.

Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte: Er hasste es, dass er Bewährung bekommen hatte. Jetzt durfte er noch nicht einmal laut auf der Straße niesen, ohne dass er vor den nächsten Richter geschleift wurde.

Abrupt blieb Ladislaw stehen. Rote und blaue Lichter zuckten nervös durch die Straße.

Polizei?

Eigentlich war das kein Menschenschlag, mit dem er es näher zu tun bekommen wollte. Dennoch blieb er neugierig stehen, während er unbewusst, mit leicht nervöser Geste, sich durch die schwarzen Haare strich.

Türen klappten laut zu und das alarmierende Funkeln erlosch. Erleichtert seufzte er auf. Was immer der Grund für diesen Einsatz war, er schien beendet. In einem geordneten Chaos fuhr ein Wagen nach dem anderen wieder ab und ließ eine kleine Traube nach möglichst blutigen Neuigkeiten heischende Menge zurück.

War das nicht das Thai-Restaurant, wo die Bullen rausgekommen waren?

Ladislaw hob eine Augenbraue. Kurz überschlug er seine baren Finanzen, dann nickte er und ging zielstrebig auf sein jetzt auserkorenes Ziel zu.

Vielleicht war der Abend ja doch noch für etwas gut.

Geübt legte er ein gewinnendes, aber nicht zu aufdringliches Lächeln auf, schlängelte sich gekonnt an dem sich langsam auflösenden Menschenauflauf vorbei und schnappte dabei ein paar Brocken der recht aufgeregt geführten Unterhaltung auf. Dann war er vorbei und betrat das Entrée des Restaurants.

 

***

 

Erst mal tief Luft holend blieb Chiat in seiner verwüsteten Küche stehen. Sein Chef trat neben ihn und erkundigte sich, ob denn trotz allem noch Gäste da waren und diese Frage konnte Chiat zum Glück bejahen. Mit ein paar Befehlen brachte er sein Team in Schwung und kurz darauf war von den Scherben nichts mehr zu sehen und eine Glaser-Firma war auch schon da, um das Oberlicht erst mal mit Holz zu sichern.

Zwei Küchenhilfen kümmerten sich darum, dass die offen gestandenen Speisen entsorgt worden und Chiat machte sich an die Thom ka gung und die anderen Vorspeisen, die bestellt waren.

Völlig überrumpelt von diesem Angebot, konnte Dimi nur kurz nicken und andeutungsweise lächeln, ehe der Asiat wieder in die Küche verschwand ... strich sich dann über das Gesicht und trank einen tiefen Schluck seiner Schorle, als er über das Gesagte nachdachte. 'Er heißt Chiat, merk dir's... dieser Park, ich glaub, ich hab schon mal davon gehört - Dimi, du solltest wirklich öfter rausgehen. Nur für sich und Freunde....' In Gedanken versunken, drehte er das Glas in seinen Händen und merkte nicht, dass seine Züge wieder kühler wurden, als sein gewohnter Ernst zurückkam ... dann trank er einen weiteren Schluck und nahm unbewusst seinen kleinen Notizblock heraus, den Druckbleistift aus der kleinen Rille darin und begann, Chiats Gesicht zu skizzieren. 'Wie er das wohl meinte... macht er das nur, weil ich ihn gelobt habe? Oder zählt er mich zu seinen... Dimi, du bist ein Träumer. Er hat dich hier zum ersten Mal gesehen, sich gefreut, dass dir die Früchtchen schmecken und ist bestimmt hetero, bei deinem Glück kann das gar nicht anders sein.'

 

***

 

Neugierig und etwas misstrauisch sah Ladislaw sich um. Irgendwie sah hier alles ziemlich normal aus, auch wenn der Geräuschpegel der wenigen Gäste wahrscheinlich höher als gewöhnlich war.

Der einzige Ruhepunkt schien ein junger Mann etwa seines Alters zu sein. Er fiel nicht nur durch seine Ruhe auf, auch durch sein Äußeres.

Wahnsinn, überlegt Ladislaw mit mildem Erstaunen, solche Haare hatte er noch nie zu Gesicht bekommen.

Irgendwie fast weiß und so lang, wie er sie es bei seiner letzten Freundin nicht waren. Wenn er ehrlich war, war der Typ insgesamt hübscher als jede seiner Freundinnen. Das Leben war ungerecht. Insgesamt fiel der andere auch durch sein eher geschlechtsloses Aussehen auf.

Na, was soll´s, seufzte Ladislaw stumm. Der Typ war mit Sicherheit Model und verdiente sein Geld leichter... Nun gut, er malte. Konnte auch sein, dass er Maler war, Künstler halt. Ladislaw gab sich einen Ruck, als er merkte, dass er erstens auf den Gast starrte und zweitens, dass er im Weg stand, immer noch im Eingang dieses Etablissements. Normalerweise erfasste er Situationen schneller, doch heute...

Wenn hier ein Überfall stattgefunden hatte, dann wirkte einfach alles hier ziemlich normal. Ladislaw wurde neugieriger als zuvor. Jetzt wollte er es wissen und der geistig abwesende blonde Mann schien das perfekte Opfer, um ihm Rede und Antwort zu stehen.

Mit einem gewinnenden Lächeln trat er an den Tisch heran und räusperte sich leise.

"Kann ich Sie mal kurz stören?"

Bei den Worten hochsehend, hob Dimi eine der hellen Brauen - lehnte sich dann zurück und schloss seinen Notizblock, den fremden, jungen Mann vor sich musternd. Groß, vielleicht ein wenig jünger als er selbst - doch um einiges breiter. "Ja? Sie wünschen?" Fast sofort fielen Dimi die teuren Klamotten auf - ebenso das leicht herrische Wesen, das er durch das durchaus gewinnende Lächeln des anderen nur zu gut erahnte. 'Pass auf, Dimi - eitel und von sich eingenommen. Na, dann sehen wir mal, was er von mir will, vielleicht überrascht er mich ja.' Leise, ein wenig zynische Gedanken, die dem Hellhaarigen durch dem Kopf geisterten - jedoch ohne auch nur einen Funken der Kühle in seinem Gesicht zu ändern.

Lad´s Lächeln wurde breiter. Schnell überschlug er in Gedanken, mit was für einer Art Mensch er es zu tun hatte, und verlegte sich darauf, es mit Vorsicht zu versuchen, gepaart mit einem Hauch von zuvorkommender Höflichkeit.

"Ich wollte hier zu Abend essen, doch dann habe ich die Polizei gesehen", begann er. "Können Sie mir sagen, was passiert ist?"

"Nur das, was uns auch gesagt wurde - ein Überfall, doch scheinbar nichts Ernstes." Den kühlen Blick über die geschäftig redenden Gäste schweifen lassend, seufzte Dimi innerlich auf - überschlug kurz, wie er ihn am besten loswurde ohne unhöflich zu sein und sprach schließlich weiter, ehe sein Gegenüber ihm antworten konnte. "Um ehrlich zu sein - es interessiert mich auch nicht besonders, ich gehöre nicht zu den Menschen, die Klatsch lieben. Ich kam ebenfalls hierher, um in Ruhe zu Abend zu essen - und es war mir ehrlich gesagt schon Aufregung genug." In Gedanken noch ein leises 'Außerdem bist du nicht mein Typ und garantiert hetero....' nachsetzend, hoffte Dimi inständig, dass dieser sich nicht zu ihm, sondern an einen der anderen Tische setzen würde ... jedoch nicht allzu sehr an einen solchen Glücksfall glaubend.

 

***

 

In der Küche herrschte geschäftiges Treiben. Chiat hatte alle Hände voll zu tun. Hier und da probierte er und gab Anweisungen, dann waren endlich die Vorspeisen fertig und Dong begann sie an die Tische zu verteilen. Nur eine der Vorspeisen nahm Chiat an sich, dann betrat er wieder den Gastraum.

Ein leichter Stich durchfuhr ihn, als er einen Fremden an dem Tisch des Mannes sitzen sah, der ihm irgendwie gefallen hatte. Tief atmete er noch einmal durch, ehe er sich der Nische näherte.

"Ihre Thom ka gung", lächelte er und stellte sie vor dem Hellhaarigen ab. Ein kurzer Seitenblick nur auf den anderen Mann, dann fragte er freundlich nach dessen Wünschen: "Haben Sie sich schon entschieden?"

Fast sofort erhellte sich das Gesicht Dimis, als ein kurzes Lächeln über seine Lippen huschte, dann nahm er mit einem leisen, doch ehrlichen "Danke." die Suppe entgegen - seine Freude darüber, dass Chiat ihm die Suppe persönlich gebracht hatte, wurde jedoch durch den uneingeladenen Tischnachbar merklich vermindert. Die übrigen Früchtchen hatte Dimi wohlweislich auf seine Seite in Sicherheit gebracht, dass der Fremde nicht vielleicht auf den Gedanken käme, sie wären Allgemeingut - dann kam Dimi ein kurzer Gedanke, den er auch sofort in die Tat umsetzte, solange der andere noch mit der Karte beschäftigt war. "Ähm... Chiat... hätten Sie vielleicht eine zweite Serviette für die Früchtchen? Ich möchte sie mir gerne mitnehmen, um sie in Ruhe genießen zu können..."

Chiat konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er zwinkerte dem Mann zu und eilte zu dem Tisch, auf dem schon fertig gefaltete Servietten standen. Er griff nach einer der roten Papierblumen und brachte sie zu dem hellblonden Mann in der Nische. Ohne eine Wort reichte er ihm die Serviette und sah den anderen an, in der Hoffnung, er würde endlich bestellen.

Ein leichter Hoffnungsschimmer glomm in Dimi auf, als er das Zwinkern sah - dann nahm er mit einem weiteren, kurzen Lächeln die Serviette entgegen und bedankte sich, ehe er die Früchtchen einwickelte und sie sorgsam in seine Jackentasche legte. 'Verflixt, wie nur... Hm... na hoffentlich setze ich mich da nicht in die Nesseln. Okay, machen wir's über die Hintertür.' In Gedanken einige unverfängliche Möglichkeiten durchgehend, wie er sein Interesse bekunden konnte, ohne in ein Fettnäpfchen zu treten, entschied Dimi sich schließlich für die Sicherste: Er nahm seinen Notizblock und trennte die kleine Skizze ab, während Chiat mit dem anderen beschäftigt war - setzte seine Unterschrift an den Rand und schrieb seine Handynummer auf die Rückseite. Dann faltete er den kleinen Zettel noch immer unter dem Tisch versteckt zusammen und ließ ihn im Block drin - legte diesen wieder neben sich auf den Tisch und widmete sich der Suppe, überrascht deren exzellenten Geschmack genießend.

Irgendwie fühlte Ladislaw sich wie in einem falschen Film. Hatte er hier etwas nicht mitbekommen? Etwas zaghaft ließ er die kurze Szene Revue passieren.

Ein kleiner und sich entsetzlich anfühlender Gedanke stieg in ihm hoch. Leicht schluckte er. Sich nichts anmerken lassend und das unhöfliche Gebaren des Hellhaarigen übergehend, setzte er krampfhaft noch einmal sein Lächeln auf und entschuldigte sich mit einem Schulterzucken: "Tut mir leid, ich wollte Sie nicht stören."

Sein Gegenüber sah kurz auf und nickte dann.

Ladislaw fühlte sich entlassen und mächtig gedemütigt. Wütend ballte er die Hände zusammen. Mit Mühe hielt er sich zurück und vermied das Knurren, welches ihm in der Kehle steckte.



[1] den Namen verschweig ich mit Absicht, sonst wimmelt's demnächst in Berlin nur so von deutschen Frauen, die das essen wollen *g*

 

 

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