Der Seepferdchen-Key

Teil 1

Abavon sah zu dem Holzschild, auf dem einfach nur 'Hirsch' stand, hinauf und nickte. Hier würde er ein Bett für die Nacht finden und etwas zu essen bekommen. Kurz überprüfte er seine Taler und befand sein Geld für ausreichend, dann schob er die Tür nach innen und betrat den dunkeln Raum. Über die Hälfte der Eichentische war besetzt. An ihnen wurde getrunken und gelacht und hier und da ein Spiel gespielt, wobei die Karten die beliebtesten waren. Langsam näherte er sich dem schweren, großen Tresen und winkte nach dem Mann dahinter.

Von seinem Teller aufsehend, betrachtete sich Zak den Neuankömmling. Jung war er und wie es schien, auch ziemlich unerfahren. Dem konnte er doch bestimmt die Taler aus der Tasche ziehen. Erst mal sehen, wo sich das Jüngelchen hinsetzen würde. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, aß er weiter.

In dem hinteren Teil des dunklen Raumes war noch ein kleiner Tisch frei, dem sich Abavon näherte, dann ließ er sich auf der Holzbank nieder und schaute in die Flamme der Kerze, die unruhig vor ihm flackerte. Er ließ seinen Blick über die anwesende Gäste schweifen. Alles kräftige Männer, die älter waren als er und sicherlich befanden sich auch der eine oder andere Dieb oder Tagelöhner unter ihnen.

Zak beobachtete den jungen Mann. Genau das, worauf er schon den ganzen Abend gewartet hatte. Bei dem würde er gewiss das Geld finden, das er brauchte, um den Hauptmann auszuzahlen und endlich frei zu sein. Er stand auf und schlenderte zu dem Jungen hinüber. An dessen Tisch angekommen, verneigte er sich kurz und fragte: "Herr, seid Ihr an einem kleinen Spielchen interessiert?"

Abavon sah auf, schaute den Fremden an und nickte einfach. Er hatte nichts gegen ein kleines Kartenspiel, aber vorher winkte er nach dem Wirt und deutete den Fremden an, sich ihm gegenüber hinzusetzen.
Kein Wort verließ Abavons Lippen. Sollte der Fremde mit einem Gespräch beginnen. Er bedankte sich nur beim Wirt, als dieser ihm eine Cervisia brachte, dann schaute er den grobschlächtigen Mann vor sich an.

Der Spieler grinste ihn mit seinen fauligen Zähnen an. Dann holte er aus seinem Beutel drei Würfel. Das sie gezinkt waren, würde er dem Bürschchen selbstverständlich nicht sagen. "Wie viel wollt Ihr setzen, Herr?"

Abavon schaute auf die drei Würfel und er musste sich ein Grinsen mit Gewalt verkneifen, damit er sich nicht verriet. Sofort hatte er bemerkt, dass die Würfel gezinkt waren, doch dies war ihm egal. Wenn der ungepflegte Kerl falsch spielen wollte, dann sollte er dies tun. Das selbe Recht stand somit auch Abavon zu.
Ohne mit der Wimper zu zucken, holte er sein kleines Geldsäckchen hervor und kippte den Inhalt auf den von Messerstichen gezeichneten Tisch und nahm nun einen Taler davon an sich, um ihn dem Wirt der Taverne zu geben. Somit hatte er seine Cervisia und auch gleich das Zimmer für die Nacht bezahlt, dass ihm der Wirt nun anbot.
Zehn Taler lagen nun vor ihm, die er zu einem kleinen Turm aufstapelte. Zwei der Taler schob er in die Mitte des Tisches. "Fang an!"

Zaks Augen begangen zu leuchten. Auf dem Tisch lagen 10 Taler!! Und der Junge sah nicht so aus, als ob er viel vom Würfeln verstand. Eilig kramt er sein eigenes Geld hervor. Leider hatte er selber nur 6 Taler beizusteuern. "Die höchste Zahl gewinnt?", fragte er und als der andere nickte, warf er die Würfel. "16!", rief er begeistert und wusste doch gleich, dass der andere nicht mehr würde würfeln können, denn diese Würfel fielen beim zweiten Wurf immer so, dass sie mindestens ein Auge weniger zeigten, als der erste Wurf. Die 10 Taler und vielleicht noch ein bisschen mehr würden ganz schnell seine sein.

Abavon erkannte die Gier in den Augen des stinkenden Kerls, der anscheinend schon seit einer Ewigkeit keinen Zuber mehr gesehen hatte und nahm die Würfel still an sich. Kurz sah er sie an, ehe er sie lächelnd warf und sie mit seinen Gedanken beeinflusste. Der erste Würfel kam zum Liegen und zeigte eine 5, der zweite eine 6 und der dritte drehte noch eine kleine Runde. Der junge Magier sah gar nicht hin, als dieser endlich zur Ruhe kam, sondern nahm einen tiefen Schluck aus seinem tönernen Krug.

"17!", rief Zak erstaunt, hatte sich aber sofort in der Gewalt. "Glückwunsch, Herr", murmelte er etwas säuerlich. Wieso hatte der andere mehr gewürfelt? Er verstand das nicht. Normalerweise konnte er mit diesen Würfeln nicht verlieren. Erneut nahm er sie zur Hand, nachdem er Abavon die zwei Taler hingeschoben hatte, die er verloren hatte. Wieder würfelte er und diesmal zeigten sich 17 Augen. Wenn er das überbieten wollte, musste er verdammt viel Glück haben. Misstrauisch beäugte er die Würfel, als der andere sie aufnahm.

Immer noch ohne eine Gefühlsregung zu zeigen, stapelte Abavon einen Taler auf seinen kleinen Stapel und brachte den anderen ins Spiel. Er nahm die 17 sehr wohl zur Kenntnis und warf die Würfel, ohne sie zu beeinflussen, wollte er doch nicht, dass der Grobschlächtige Verdacht schöpfte. Mit einer zwölf hatte er den Taler verloren und schob ihn dem anderen zu.

Innerlich aufatmend sah Zak, dass er gewonnen hatte. Erneut würfelte er und diesmal hatte er nur 3 Augen. /Verdammt, da kommt er allemal drüber. Was ist mit diesen verdammten Würfeln los?/ Der Spieler konnte es sich nicht erklären. Wenn er weiter so mies spielte, würde er seine Schulden beim Hauptmann nie bezahlen können und würde ewig in seiner Bande mitziehen müssen.

Nun musste Abavon doch lächeln. Der Kerl hatte eine 3 gewürfelt und das, ohne dass er die Würfel beeinflusst hatte. Mit einer 6 hatte er gewonnen und strich die Taler ein, dann setzte er fünf Taler und wartete gespannt hab.

Missmutig starte Zak auf die Taler, die der andere lächelnd einstrich. Dann bekam er große Augen. 5 Taler wollte er setzen? Er selber hatte ja nur noch 3 Taler, nachdem er eben zwei verloren hatte. /Verdammte Würfel!/, fluchte er in Gedanken. Langsam fuhr seine Hand erneut in seinen Beutel und kam geschlossen wieder heraus.

"Akzeptiert Ihr auch ein Schmuckstück, Herr? Denn, wie Ihr sehen könnt, habe ich nur noch 3 Taler." Er hielt die Luft an. Würde der andere sich darauf einlassen?

"Es kommt auf das Schmuckstück an", erklärte Abavon, der nun zum ersten Mal etwas gesagt hatte. Er würde, wenn das Schmuckstück nicht nach seinem Geschmack war, zwei seiner gesetzten Taler wieder zurückziehen. Was brachte es ihm, wenn der Spieler bei ihm Schulden hatte?

Leicht atmete Zak auf. Der andere hatte nicht von vorn herein abgelehnt. Er legte die geschlossene Faust auf den Tisch und öffnete sie langsam. Auf der nicht ganz sauberen Handfläche lag ein Bernstein-Seepferdchen, so detailliert und lebendig gearbeitet, dass es schien, als sei es eben gerade aus dem Meer gefangen worden.

"Würdet Ihr dies hier akzeptieren, Herr?"

"Ja, das akzeptiere ich", antwortete Abavon und schaute auf das wunderschön gearbeitete Seepferdchen, welches ihm ausgesprochen gut gefiel. Er legte sogar noch einen Taler auf den Tisch, um den Wert dieser wundervollen Arbeit auszugleichen. "Wollt Ihr mit würfeln anfangen?", erkundigte er sich und legte die Würfel neben die kleine Kostbarkeit.

In Zaks Augen glomm die Gier. Der Fremde hatte sogar noch einen Taler mehr auf den Tisch gelegt. Was sollte Zak mit dem Klumpen Bernstein, ihm waren blanke Taler lieber. Sicher, es war ein exquisit gearbeitet Schmuckstück und der vorherige Besitzer, ein eitler Geck, hatte sich bestimmt mächtig geärgert, als er dessen Verlust entdeckte, aber Schmuck brachte keinen vollen Magen und der Hauptmann hatte es auch nicht als Bezahlung akzeptiert. Mit etwas Glück würde er es in bare Münzen umtauschen können. Er griff nach den Würfel und warf. Lange rollten sie über den Tisch, drohten sogar einmal abzustürzen und blieben dann endlich liegen.

"18!!" Triumphierend sprang Zak auf und wollte nach dem Geld greifen.

"Nicht so eilig!", erklärte Abavon scharf und griff nach den Händen, die sich schon zu den Talern bewegen wollten. "Ich bekomme ja wohl meine Chance auch noch." Er nahm die drei Würfel, warf sie und schaute lächelnd auf die achtzehn Augen. "Patt", stellte der junge Magier trocken fest und schob die Würfel seinem Gegenspieler zu. "Damit ist es unentschieden und wir würfeln noch einmal." Genau behielt Abavon die Würfel im Blick und beeinflusste sie, ohne das es jemand bemerken konnte.

Zak knurrte etwas, das sich verdächtig nach "Verdammtes Anfängerglück" anhörte. "Sicher, Ihr habt Recht. Würfeln wir noch mal." Er nahm die Würfel auf und betete zu allen ihm bekannten Göttern, dass sie ihm gewogen sein mögen. Dann ließ er die Würfel rollen. Diesmal blieben sie mit 13 Augen liegen.

/Eijeijei/, dachte Zak, /Dreizehn, eine Unglückszahl, wenn das mal gut geht./ Nervös kratzte er sich den speckigen Nacken, als er Abavon die Würfel zuschob. "Ihr seid dran, Herr."

Abavon spürte die Blicke, die auf ihnen ruhten und er wusste, dass er einige der Männer auf seiner Seite hatte, denn diese drückten ihm die Daumen und nicht seinem Gegner und er war sich auch sicher, dass er eine gute Verteidigung auf seiner Seite hatte, falls der Grobschlächtige ein schlechter Verlierer sein sollte. Wieder verzog der junge Magier keinen Muskeln im Gesicht, als er die Würfel packte und warf. Er sah der Laufbahn zu und hob den Blick an, als sie mit einer glatten 15 liegen blieben. "Ich danke für das Spiel, der Herr", sagte er leise und verbeugte sich, dann nahm er den Gewinn an sich und betrachtete sich das Seepferdchen, welches ihm besonders gut gefiel. Es würde wohl sein neuer Glücksbringer werden.

Entgeistert blickte Zak zu erst die Würfel, dann den jungen Mann und dann dem entschwindenden Gewinn nach. Einige Male klappte er den Mund auf und zu und wollte gerade zu einer wütenden Antwort anheben, als er in die Gesichter der Männer blickte, die hinter Avavon standen. In ihnen war ganz deutlich die Genugtuung über den Ausgang dieses Spiels zu sehen, aber auch, dass man dem Gewinner durchaus beizustehen gedachte, sollte Zak handgreiflich werden. Wütend verließ er ohne ein weiteres Wort den Tisch und die Taverne.

Ein Lächeln stahl sich auf Abavons Züge, als er seinem Gegner nachsah. Er warf dem Wirt einen Taler zu und orderte eine Runde Cervisia für die Männer, die auf seiner Seite gestanden hatte.
Fest hielt er das Seepferdchen mit den Fingern umklammert. Dieses kleine Prachtstück würde wohl sein neuer Talisman werden. Er wünschte allen noch einen schönen Abend und ließ sich dann von der Frau des Wirtes sein Zimmer zeigen, welches ihn wirklich überraschte. Es war sauber und gemütlich und lud zum Ausschlafen ein. Mit einem Kuss auf die Wange bedankte er sich bei der Wirtin und schloss hinter ihr die Tür, indem er auch noch den Riegel vorschob.
Mit dem Wasser aus einer Schüssel, die auf einer kleinen Truhe stand, wusch er sich, dann kroch er unter das Daunenbett und schloss zufrieden die Augen, dabei hielt er das Seepferdchen noch immer fest.

Die dralle Wirtin kicherte wie ein junges Mädchen, als ihr Abavon einen Kuss auf die Wange drückte. "Ich wünsche eine angenehme Nacht, junger Herr", sagte sie und ging die Stiege hinunter. Auf halben Wege blieb sie stehen, überlegte kurz und kehrte dann entschlossen zu Abavons Zimmer zurück. /Hoffentlich schläft er noch nicht./ Entschlossen klopfte sie an die Tür. "Herr, schlaft Ihr schon?", rief sie leise, denn es musste ja keiner mitbekommen, dass sie mitten in der Nacht an die Tür eines Gastes klopfte, am allerwenigsten ihr Mann.

Abavon vernahm die Stimme der Wirtin und erhob sich, nachdem er das warme Federbett von sich geschoben hatte. Leise tapste er barfuss über die dicken Holzbohlen des Fußbodens und zog die Tür wieder auf. Fragend, aber lächelnd sah er die pralle Wirtin an und ließ sie ein.

Keck drängte sie sich an Abavon vorbei ins Zimmer, sah noch mal schnell den Gang hinunter und schloss dann die Tür. Lächelnd sah sie den jungen Magier an.

"Herr, Ihr habt da eben ein sehr schönes Schmuckstück gewonnen."

Abavons Finger schlossen sich noch fester um das Seepferdchen. "Ja, wieso fragt Ihr?" Kurz überprüfte Abavon mit einem Blick, ob die Tür wirklich zu war, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Wirtin.

Die Wirtin sah ihn lächelnd an. "Kennt Ihr die Bedeutung dieses Schmuckstücks?"

"Das Seepferdchen hat eine Bedeutung?" Abavon zog die Augenbrauen hoch und schaute der Frau des Wirtes in die Augen. "Jetzt bin ich aber neugierig? Wem hat der Grobschlächtige das Schmuckstück denn abgenommen? Einer jungen Magd, die es von ihrem Liebsten bekommen hat?"

Wieder kicherte die Wirtin. "Das glaube ich kaum. Ich denke eher, er hat es einem reichen Herrn gestohlen. Aber egal, wer es vorher besessen hat, nun gehört es Euch und damit auch der Key im Meerespalast."



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