Seepferdchen-Key

Teil 2

"Der Key im Meerespalast?" Mit einer Hand deutete Abavon der Wirtin an, sich auf den einzigen Stuhl im Raum zu setzen. "Darf ich Euch fragen, um was es sich dabei handelt?"

Mit einem dankenden Nicken setzte sich die Wirtin. "Ihr kennt den Meerespalast nicht?", fragte sie erstaunt.

"Wo soll ich da anfangen?", überlegte sie kurz und begann dann zu erzählen. "Der Palast steht ungefähr eine Tagesreise von hier direkt am Meer. Weit draußen auf einer windumtosten Klippe. Dort gibt es unzählige Zimmer und in jedem Zimmer lebt ein Sklave, der wird Key genannt. Man sagt, es sollen die schönsten Frauen und Männer sein, die das Land zu bieten hat. Jeder Key hat irgendeine besondere Eigenschaft, die sich in seinem Namen und dann auch in der Gestalt des Schlüssels, der zu der Tür des Zimmers gehört, ausdrückt. Wer den Schlüssel besitzt, besitzt auch den Key, also den Sklaven. Ihr seid durch das Schmuckstück jetzt Besitzer dieses Sklaven. Dürfte ich den Schlüssel vielleicht einmal sehen?"

"Ich besitze jetzt einen Sklaven?" Vollkommen von der Rolle ließ sich Abavon auf das Bett fallen und strich sich nervös durchs Haar, ehe er der Wirtin das Seepferdchen reichte. "Muss er oder sie nun für mich arbeiten?" Der Gedanke, dass er einen anderen Menschen als Sklaven halten sollte, gefiel ihm gar nicht. Er mochte dies nicht und würde am liebsten jedem helfen, der in den traurigen Diensten eines wohlhabenden Herren stand.

Erneut lachte die Wirtin leise. "Na ja, arbeiten könnte man das auch nennen." Sie betrachtete den Schlüssel interessiert. "Wunderschön", murmelte sie und strich mit ihren dicklichen Finger über das feingearbeitete Seepferdchen.

"Ihr seid der Besitzer des Seepferdchen-Keys. Welche Eigenschaften er hat kann ich Euch natürlich nicht sagen, aber ich denke, es wird kein sehr wilder Key sein, denn das Seepferdchen ist ja eher ruhig und bedächtig." Wieder strich sie über das Schmuckstück, ehe sie es mit einem Seufzer zurückgab.

"Eigenschaften?" Abavon schloss die Finger um das Seepferdchen und zog die Augenbrauen zusammen. "Meint Ihr, welche Arbeiten er verrichten muss? Ställe ausmisten, Essen auftragen oder wie soll ich das jetzt deuten?" Der junge Magier war vollkommen überrascht. Noch nie hatte er von einem Palast gehört, in dem man Sklaven erstehen konnte. Er kannte nur die Sklavenmärkte und hatte schon mehr als nur einmal Chaos an solchen Orten gestiftet und dafür gesorgt, dass die armen Menschen verschwinden konnten.

"Ställe ausmisten? Ein Key? Herr, wisst Ihr eigentlich, wie kostbar und teuer ein Key ist?" Die Wirtin war nun wirklich überrascht. Der junge Mann schien absolut keine Ahnung zu haben, welchen Schatz er da in Händen hielt.

"Nein, diese Sklaven verrichten keine körperliche Arbeit. Sie sind zu Eurem Vergnügen da." Bei diesen Worten zwinkerte sie ihm mit einem bedeutungsvollen Lächeln zu.

"Zu meinem Vergnügen?" Endlich ging dem jungen Magier ein Licht auf. "Körperliches Vergnügen? Dann ist es ja ein..." Er verstummte und ließ sich lachend nach hinten fallen auf das weiche Daunenbett.

"Ja, die Keys sind Huren. Aber eigentlich sind sie eben doch auch noch viel mehr. Soweit ich weiß, könnt Ihr alles mit ihnen machen, was Ihr wollt, sogar töten, wie Ihr es eben auch mit einem Sklaven könnt."

"Töten?" Der Magier fuhr hoch. "Das ist..." Er fand keine Worte für diese Aussage. "Wie komme ich an die anderen Keys?", erkundigte er sich vor Wut bebend. "Dem muss doch ein Ende gesetzt werden."

"Ssschhh, nicht so laut, Herr!" Die Wirtin macht Abavon ein Zeichen, sich zu mäßigen. "Man sagt, dass es dem Holder gestattet ist, mit dem Key zu machen, was ihm beliebt. Aber man sagt auch, dass derjenige, der einen Key vorsätzlich tötet, seine Stelle als Key im Palast einnehmen muss. Was daran wahr ist kann ich Euch nicht sagen. Ich war noch nie im Palast und kenne das alles nur aus den Reden der Gäste."

Abavon nickte nur kurz und atmete tief durch. "Also muss der Mörder immer damit rechnen, dass sein Besitzer das selbe mit ihm macht, was er mit seinem Sklaven getan hat? Das nenne ich Gerechtigkeit." Langsam ließ sich der junge Magier wieder auf das Bett nieder. "Wie komme ich denn zu dem Palast?"

"Na ja, der Mörder ist ja dann in diesem Fall immer der Holder, denn jemand anders kommt ja nicht in den Palast und die Zimmer. Immer nur der Holder des jeweiligen Keys. Wenn Ihr also euren Seepferdchen-Key umbringen würdet, müsstet Ihr seine Stelle einnehmen und als Key dienen." Sie sah ihn ernst an, dann beschrieb sie ihm den Weg zum Palast und verließ ihn mit guten Wünschen für eine angenehme Nachtruhe.

"Ich würde nie jemanden töten", lächelte Abavon und schloss hinter der Wirtin die Tür, indem er den Riegel wieder vorschob, dann begab er sich endlich zur Bettruhe und verschob die Gedanken, die ihn beschäftigten, danach fiel er in einen ruhigen Schlaf.


***


Schon zeitig wurde Abavon munter und gönnte sich eine Morgenwäsche. Frisch ausgeruht verließ er sein Zimmer und lief die Treppe hinab, damit er im Schankraum landen konnte, wo er hoffentlich schon ein deftiges Frühstück bekommen konnte.

Mit einem strahlenden Lächeln, dass ihr Mann mit einem bösen Stirnrunzeln registrierte, begrüßte ihn die Wirtin.

"Guten Morgen, Herr, habt Ihr gut geschlafen?", erkundigte sie sich und stellt ihm ungefragt einen Krug frischer Milch und ein frisch gebackenes, noch warmes Brot hin.

"Hervorragend, ich danke Euch für dieses Zimmer." Abavon füllte sich einen Becher mit Milch und schnupperte an dem noch warmen Brot. "Riecht köstlich", lächelte er.

"Extra für Euch gebacken", flüsterte sie ihm verschwörerisch zu und stellte noch einen Tontopf mit Honig auf den Tisch, dann ging sie lächelnd in die Küche zurück. Der Wirt starrte abwechselnd Abavon an und seiner Frau nach. Was hatten die beiden zu tuscheln?

Er trat an Abavons Tisch heran.

"Ist alles zu Eurer Zufriedenheit, Herr?", fragte er mit einem leichten Knurren in der Stimme.

Abavon lächelte der Wirtin nach und brach sich ein Stück Brot heraus, das er dann mit Honig beträufelte.
"Ja, Herr Wirt, es ist alles zu meiner Zufriedenheit. Ich werde Eure Taverne weiterempfehlen. Die Betten sind gemütlich und es ist sehr sauber."

"Das freut mich." Obwohl das Gesicht des Wirtes eher das Gegenteil ausdrückte. Mit einer leichten Verneigung verließ er Abavon und ging schnurstracks in die Küche zu seiner Frau.

Abavon zuckte nur mit den Schultern, als der Wirt seinen Tisch verließ. Er hatte mitbekommen, dass der Wirt nicht gerade gut auf ihn zu sprechen war. Vielleicht war er ja einfach nur eifersüchtig, dachte er grinsend und genoss das warme Brot mit dem Honig.

***

Unter einer mit Weinlaub berankten Laube sitzend, überprüfte die Herrin des Meerespalastes die Liste der Keys. Nur wenige waren zur Zeit ohne Holder. Ihr Blick fiel auf den Namen des Seepferdchen-Keys. Sie seufzte. Marinus war nun schon so lange allein. Sein Schlüssel war zwar vergeben, aber keiner der Besitzer hatte sich in den letzten 6 Monaten sehen lassen. Sie wusste sehr gut, dass die Schlüssel nicht nur zum Besuch des Palastes berechtigten, sondern auch als Handelsware, Pfand oder Belohnungen dienten. Manch großer Feldherr war von seinem Herrn schon mit einem Schlüssel belohnt worden oder auch ein guter Geschäftsfreund für ein besonders gelungenes Geschäft. /Hoffentlich kommt bald der Holder in den Palast, sonst wird mir Marinus noch depressiv./ Eigentlich war Marinus, der Seepferdchen-Key, ein sehr lebenslustiger, fröhlicher Key, doch lange Zeit allein zu sein, war für ihn eine absolute Strafe und machte ihn traurig und eine gewisse Schwermütigkeit ergriff von ihm Besitz. Aber wenn der Holder nicht auftauchte, konnte auch die Herrin des Palastes nichts machen.

Mit einem weiteren tiefen Seufzer erhob sie sich, übergab dem herbeigeeilten Diener die Schriftrolle mit den Worten: "Bring die Rolle zurück in die Truhe und dann ruf Marinus." Der Diener verneigte sich und eilte davon, den Befehl seiner Herrin zu erfüllen.

 

Neugierig war Abavon nach dem Frühstück aufgebrochen. Er hatte dem Wirt noch ein Pferd für einen Taler abgekauft und auf diesem ritt er nun Richtung Meer und folgte den Anweisungen der Wirtin. Er war auf diesen Palast gespannt und auf das, was ihn dort erwarten würde.

 

Leise ging die kleine Tapetentür im Seepferdchen-Zimmer auf. Traurig blickte Marinus auf und als er sah, dass es einer der Diener war, ließ er sich wieder auf das Bett fallen. "Was willst du?", fragte er muffig. Er machte sich noch nicht mal die Mühe, in seinem Gedächtnis nach dem Namen zu suchen.

Der Diener verneigte sich tief und sagte mit leiser, klarer Stimme: "Die Herrin wünscht dich zu sprechen." Sich erneut verneigend entfernte sich der Diener wieder, ohne auf eine Antwort des Keys zu warten.

Seufzend erhob sich Marinus, suchte neben dem Bett nach seinen Schuhen und schlüpfte dann hinein. In seinem Bad, welches um einiges größer war als das eigentliche Zimmer, betrachtete er sich vor dem großen Spiegel, ob er der Herrin so gegenübertreten konnte und entschied, dass es ausreichend war, nochmals die Haare zu kämmen. Dann verließ er das Zimmer und begab sich in die Gemächer der Herrin.

Leise klopfte er an die Tür und öffnete sie, nachdem von innen "Herein!" gerufen wurde. Sorgfältig die Tür hinter sich schließend, betrat Marinus die hellen Räume der Herrin. Vor ihrem Thron ging er auf die Knie und senkte den Kopf.

"Ihr habt mich rufen lassen, Herrin?"

Lächelnd gebot sie ihm, aufzustehen.

"Ja, Marinus, denn ich habe eine freudige Kunde für dich. Dein neuer Herr ist auf dem Weg hierher."

Der Junge sah sie aus aufgerissenen, braunen Augen an. Einen Moment dauerte es, bis er die Tragweite dieser Worte begriff, dann fragte er: "Wirklich? Wann wird er hier sein?" Plötzlich war er ganz aufgeregt. Ein neuer Holder war endlich auf dem Weg in den Palast, die Zeit der Einsamkeit hatte ein Ende.

"Das weiß ich nicht, soweit reicht meine Macht nicht, Marinus. Ich weiß nur, dass er unterwegs hierher ist. Geh auf dein Zimmer und bereite dich vor, ihn zu empfangen." Lächelnd entließ sie ihn und Marinus stürmte, nachdem er sich nochmals vor der Herrin verneigt und sich rückwärts gehend entfernt hatte, in sein Zimmer und begann hektisch aufzuräumen und sein Zimmer in einen vorzeigbaren Zustand zu versetzten. Schnell eilte er in sein Bad, badete und wusch sein Haar innerhalb von nur einer Stunde, was für Marinus ein absoluter Rekord war, denn für gewöhnlich verließ er seine riesige Badewanne nicht unter drei Stunden. Nun eilte er zu seinem Schrank, der an der linken Seite seines Zimmers stand und überlegte lange hin und her, in welcher Kleidung er seinen neuen Herrn begrüßen sollte und entschied sich dann für eine helle, fast weiße Lederhose, die tief auf seinen Hüften saß und einer ebenso hellen knappen, verschlusslosen Weste, ebenfalls aus weichem Leder. Auf die Schuhe verzichtete er, wie immer, wenn er in seinem Zimmer war. Nun setzte er sich auf sein Bett, welches eigentlich nur eine große Ansammlung von vielen, vielen Seidenkissen in unendlich vielen Grün- und hellen Brauntönen war, und wartete.

 

Vor sich sah Abavon den Palast und blickte die Türme hinauf. Er zügelte sein Pferd, brachte es zum Stehen und tätschelte ihm die Blässe, dann erst gab er ihm mit den Schenkeln Druck und trieb es langsam vorwärts, durch den wundervollen Garten, der das Anwesen umgab. Vor einer großen, hohen, doppeltürigen Holzpforte hielt er wieder an und stieg ab. Er atmete noch einmal tief durch, dann nahm er den Klopfer in die Hand und schlug das Metall gegen die Tür. Dumpf hallte das Klopfen durch die von Vogelgezwitscher erfüllte Luft und stieg zum Himmel empor, der strahlend blau war.

Kaum war der Klang des Klopfers verhalt, öffnete sich die Tür und ein junger Mann erschien, verneigte sich tief und sagte:

"Willkommen im Meerespalast, Herr. Tretet bitte ein. Der Diener wird Euer Pferd in die Ställe führen." Abavon drehte sich irritiert um, als ihm jemand sanft die Zügel aus der Hand nahm.

Der Junge, der dies tat, lächelte den Magier an. "Es wird gut für sie gesorgte werden, Herr." Dann führte er die Stute weg, ihr den Hals tätschelnd.

Der andere Diener stand immer noch lächelnd neben der Tür und machte nun eine einladende Handbewegung in das Innere des Schlosses.

Verhalten setzte Abavon einen Fuß vor den anderen und schaute sich in der prunkvoll eingerichteten großen Halle um, ehe er neben den Diener trat, der unterdessen ein Stück vorgegangen war.
Fragend sah er ihn von der Seite an. Ihn interessierte schon, wie das jetzt weiterging, doch er brachte kein Wort hervor, dafür war er viel zu aufgeregt.

Würdevoll schritt der Diener vor Abavon her, blieb dann vor einer weiteren, großen Tür stehen, die dieses Mal jedoch nicht aus Holz sondern aus hellem, blauen Glas war und in wunderschönen, sehr lebendigen Bildern eine Unterwasserlandschaft zeigte. Abavon schaute ein zweites Mal hin und schüttelte dann den Kopf, hatte er sich doch eben eingebildet, dass sich die Fische tatsächlich bewegten.

Der Diener öffnete diese Tür und trat zur Seite. "Tretet ein Herr, die Herrin erwartet Euch bereits."

Er war Magier und dementsprechend versuchte er herauszufinden, wie viel Magie in diesen Hallen lebte, doch bis auf die Fische in der Tür, hatte er noch nichts anderes erkennen können. Er nickte dem Diener noch einmal zu, ehe er die Schwelle übertrat und zu der bildschönen Frau blickte, die vor ihm auf einer Art Thron saß. "Ich grüße Euch!", lächelte er und verneigte sich, so, wie es sich vor der Herrin des Hauses gehörte.

"Tritt näher, Abavon und sei mir herzlich willkommen!", sagte sie mit leiser, wohltönender Stimme und lächelte ihn an. Sie betrachtete ihn einen Moment, dann sprach sie weiter.

"Du bist also der neue Besitzer des Seepferdchen-Keys. Er ist noch sehr jung und hatte lange keinen Holder, also sei ein wenig nachsichtig mit ihm, wenn er dir ein bisschen überspannt vorkommt. Sollte er jedoch zu aufgedreht sein, scheue dich nicht, ihn zu züchtigen." Immer noch lächelnd fragte sie dann: "Du kennst die Regeln des Palastes?"



weiter

zurück zum Geschichtenindex